18.02.2010

Atome testen Einsteins Gravitationstheorie

Die relativistische Zeitdehnung im Schwerfeld der Erde wurde mit einem Atominterferometer 10000 Mal genauer als bisher gemessen.

Die relativistische Zeitdehnung im Schwerfeld der Erde wurde mit einem Atominterferometer 10000 Mal genauer als bisher gemessen.

Die Schwerkraft lässt die Zeit langsamer vergehen. Diese Vorhersage von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie hat sich bei Tests mit Atomuhren in Flugzeugen und Raketen als zutreffend erwiesen. Theorie und Experiment stimmten dabei mit einer Genauigkeit von 7×10-5 miteinander überein. Jetzt haben Holger Müller von der University of California in Berkeley und seine Kollegen anhand der Messergebnisse eines zehn Jahre alten Experiments die relativistische Zeitdehnung mit einer 10000 Mal höheren Präzision bestimmt und Einsteins Vorhersage eindrucksvoll bestätigt.

Abb.: Einzelne Cäsiumatome werden auf ihrem Parabelflug durch das Atominterferometer dreimal von Laserpulsen getroffen. Der erste Puls spaltet das atomare Wellenpaket kohärent in zwei Teile, der zweite Puls lenkt die Teilwellen um und der dritte Puls bringt sie zur Interferenz. Da sich die Teilwellen auf unterschiedlich hohen Bahnen bewegen, vergeht für sie unterschiedlich viel Zeit. Die Zeitdifferenz kann man am Interferenzsignal ablesen. (Bild: Holger Müller et al., Nature)

Das ungewöhnliche „zeitverzögerte“ Experiment hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte. Achim Peters hatte 1999 beim Physiknobelpreisträger Steven Chu mit frei fallenden Cäsiumatomen die lokale Erdbeschleunigung g gemessen. Indem er die Interferenz der atomaren Wellenfunktionen ausnutze, erreichte er für g eine Messgenauigkeit von 3×10-9. Zehn Jahre später ging Holger Müller, der bei Peters an der Berliner Humboldt Universität promoviert hatte, ebenfalls zu Chu nach Stanford. Auf einer Konferenz über Frequenz- und Zeitmessung hatte Müller, der inzwischen Professor in Berkeley geworden war, die Idee, dass man anhand von Peters alten Daten die Zeitdehnung im Schwerefeld der Erde mit unerreichter Genauigkeit bestimmen könnte. Chu nahm diesen Vorschlag begeistert auf.

Bei Peters altem Experiment in Müllers neuer Interpretation ging es um Folgendes. Die de Broglie-Welle eines einzelnen Cäsiumatoms wurde in einem Atominterferometer in zwei Teilwellen zerlegt, die sich dann im freien Fall auf unterschiedlichen Bahnen bewegten. Da sich die Höhe der Bahnen zwischenzeitlich um etwa 0,1 mm unterschied, war auf der höheren Bahn das Gravitationspotential der Erde etwas schwächer als auf der niedrigeren. Deshalb verging auf der höheren Bahn die Zeit ein wenig schneller und die Phase der hoch fliegenden Teilwelle änderte sich etwas schneller als die der niedrig fliegenden Teilwelle. Der Phasenunterschied machte sich bemerkbar, wenn die beiden Teilwellen nach 0,3 s zur Interferenz gebracht wurden. Da die Phase der de Broglie-Welle des Cäsiumatoms mit einer Frequenz von 3×1025 Hz oszillierte, konnte man mit ihr extrem kleine Zeitunterschiede messen.

In Peters Experiment flogen die lasergekühlten Cäsiumatome einzeln durch ein Lichtfeld, das von zwei senkrechten und einander entgegen gerichteten, gepulsten Laserstrahlen mit leicht unterschiedlicher Frequenz erzeugt wurde. Der aufwärts gerichtet Strahl hatte dabei die höhere Frequenz. Insgesamt drei Lichtpulse trafen das Atom. Der erste Lichtpuls regte das Atom mit 50 % Wahrscheinlichkeit an. Das Atom ging von seinem Grundzustand in eine kohärente Überlagerung aus dem Grundzustand und dem angeregten Zustand. Durch den Photonenrückstoß hatte das Atom im angeregten Zustand einen nach oben gerichteten Impuls bekommen, sodass es nach oben wegflog und sich auf einer höheren Bahn bewegte als das Atom im Grundzustand.

Der zweite Lichtpuls brachte die beiden sich auseinander bewegenden atomaren Teilwellen wieder zusammen: Flog das Atom nach oben, bekam es einen nach unten gerichteten Impuls und umgekehrt. Nach kurzer Flugstrecke trafen die beiden Teilwellen wieder aufeinander. Dann wurde das Atom vom dritten Lichtpuls getroffen, der es in einen Interferenzzustand brachte. Da die Teilwellen auf ihrer Flugbahn unterschiedliche Phasen erhalten hatten, konnte die Interferenz konstruktiv oder destruktiv sein. Das ließ sich daran ablesen, ob das Atom nach der Interferenz im Grundzustand oder im angeregten Zustand war. Indem die Forscher das Experiment mit vielen einzelnen Atomen wiederholten und auszählten, in welchem Zustand sie schließlich gelandet waren, konnten sie die Phasendifferenz sehr genau bestimmen.

Die Phase der de Broglie-Welle eines Cäsiumatoms oszilliert mit seiner Compton-Frequenz fC= mc2/h, die 3×1025 Hz beträgt und normalerweise viel zu groß ist, als das man sie direkt messen könnte. Doch diese riesige Frequenz führt bei extrem kleinen Zeitdifferenzen, wie sie durch die relativistische Zeitdehnung auftreten, zu merklichen Phasenunterschieden. Auf der oberen Bahn vergingen für das Cäsiumatom etwa 2×10-20 s mehr als auf der unteren. Es fanden also auf der oberen Bahn rund 1 Mio. Compton-Oszillationen mehr statt als auf der unteren Bahn. Da das Atominterferometer die Phasendifferenz auf ein Tausendstel einer Oszillation bestimmen konnte, war die Messgenauigkeit des Experiments 10-9, also 10000 Mal besser als bei den bisher besten optischen Messungen. Mit den Cäsiumatomen ließen sich noch Zeitunterschiede von 10-29 s erkennen!

Im Rahmen dieser enormen Messgenauigkeit stimmte die Zeitdehnung im Schwerefeld der Erde mit der Vorhersage überein, die Einsteins Gravitationstheorie macht. Gelänge es, die kohärenten Teilwellen der Cäsiumatoms nicht nur 0,1 mm sondern 1 m weit auseinander laufen zu lassen, so könnte man mit zwei Atominterferometern möglicherweise auch Gravitationswellen messen.

RAINER SCHARF

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