Auf dem Weg zu einer Graphen-basierten Elektronik
Neue Erkenntnisse zum Verhalten und Steuerungsmöglichkeiten von Ladungsträgern in einatomaren Kohlenstoffschichten.
Wenn es darum geht, zweidimensionale Elektronensysteme zu verwirklichen, gelten monoatomare Ebenen aus Kohlenstoff (Graphen) als eine der vielversprechendsten Alternativen zu den bisher in der Mikroelektronik verwendeten und nur mit hohem Aufwand zu produzierenden Halbleiter-Schichtstrukturen. Abgesehen von ihrer wesentlich einfacheren Herstellbarkeit haben Graphenschichten den Vorteil, dass ihre Elektronensysteme deutlich dünner und die Bewegungsgeschwindigkeiten der Ladungsträger deutlich schneller sind als diejenigen in Halbleitern, so dass sie kürzere Schaltzeiten erwarten lassen.
Für die Perspektive einer Graphen-basierten Elektronik von zentraler Bedeutung ist allerdings die Frage, welche Möglichkeiten elektrostatische Potentiale bieten, um Elektronensysteme in Graphenschichten auch bei hohen Frequenzen zu kontrollieren. Antworten, auf diese Frage geben Physiker aus Augsburg und Loughborough in einer aktuellen Veröffentlichung.
Seit längerem ist bekannt, dass Ladungsträger in einatomaren Kohlenstoffschichten ein äußerst ungewöhnliches „ultrarelativistisches“ Bewegungsverhalten zeigen – ein Verhalten, das grob mit demjenigen von Photonen verglichen werden kann und ansonsten nur bei Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit zu beobachten ist. Dabei liegen die tatsächlichen Bewegungsgeschwindigkeiten der Graphen-Ladungsträger bei nur etwa einem Hundertstel der Lichtgeschwindigkeit und damit durchaus im Bereich des in Metallen Üblichen.
Als Folge ihres ungewöhnlichen Bewegungsverhaltens durchdringen Graphen-Elektronen statische Potentialbarrieren bei senkrechtem Auftreffen perfekt, wie entsprechende Experimente bestätigen. Dies erschwert die Steuerbarkeit der Ladungsträger erheblich, im Vergleich etwa zu „gewöhnlichen“ Quantenteilchen in Halbleitern, die durch Potentialbarrieren zwar auch entkommen können, aber, bei Verwendung hoher und dicker Barrieren, eben nur mit ganz geringen Wahrscheinlichkeiten.
Dies wirft die Fragen auf, wie zeitliche Veränderungen der Potentialbarrieren die Tunnelwahrscheinlichkeiten beeinflussen und wie sich dementsprechend die Bewegungen der Ladungsträger durch die Kontrolle des Zeitverlaufes einer angelegten Gatterspannung steuern lassen. Das Team um die Augsburger Physiker konnte die Grundlagen für das Verständnis des Transmissionsverhaltens von Potentialbarrieren nun in zweierlei Hinsicht maßgeblich erweitern: Zum einen ermöglichen ihre Ergebnisse die Beantwortung der beiden genannten Fragen für beliebige Barrierenprofile in Verbindung mit beliebigen zeitlichen Änderungen; zum anderen lassen sich jetzt Tunnelwahrscheinlichkeiten auch für Ladungsträger berechnen, die nicht senkrecht, sondern unter beliebigen Einfallswinkeln auf die Barriere treffen. Damit ist die Voraussetzung geschaffen für eine gezielte Steuerung der Bewegungsrichtung von Graphen-Ladungsträgern, zum Beispiel durch eine entsprechende Veränderung der Frequenzen oszillierender Potentialbarrieren.
Gewissermaßen nebenbei sind die Forscher auf ein interessantes, völlig unerwartetes Phänomen gestoßen, nämlich auf parallel zur Barriere laufende Ströme, die unter bestimmten Voraussetzungen sogar bei einem senkrechten Einfall des Ladungsträgers auftreten und deren theoretische Beschreibung eine verblüffende Analogie zum Josephson-Verhalten supraleitender Tunnelkontakte zeigt, obwohl Graphen selbst nicht supraleitend ist.
U. Augsburg / PH