Auf dem Weg zum Quantum des Schalls
Forscher kühlen Schallwellen in Wellenleitern stark ab – und nähern sich so dem Grundzustand des Schalls.
Wissenschaftlern des MPI für die Physik des Lichts ist es gelungen, wandernde Schallwellen in Wellenleitern wesentlich stärker abzukühlen als dies bisher mit Laserlicht möglich war. Sie sind dem Ziel, den Quantengrundzustand des Schalls in Wellenleitern zu erreichen, ein großes Stück näher gekommen. Das störende Rauschen, das von den akustischen Wellen bei Raumtemperatur erzeugt wird, kann entfernt werden. Der experimentelle Ansatz liefert ein tiefergehendes Verständnis am Übergang von klassischen zu Quantenphänomenen des Schalls und ist zudem relevant für Quantenkommunikationssysteme und zukünftige Technologien.
Das Erreichen des Quantengrundzustands einer akustischen Welle einer bestimmten Frequenz kann durch vollständige Abkühlung des Systems erzeugt werden. Die Anzahl der Quantenteilchen, der akustischen Phononen, die Störungen von Quantenmessungen verursachen, kann auf diese Weise nahezu auf null reduziert werden und damit die Schwelle zwischen klassischer und Quantenmechanik überschritten werden.
In den vergangenen zehn Jahren wurden große technologische Fortschritte erzielt, die es ermöglichten, eine Vielzahl von Systemen in diesen Zustand zu versetzen. So können mechanische Schwingungen, die zwischen zwei Spiegeln in einem Resonator oszillieren auf sehr niedrige Temperaturen bis zum Quantengrundzustand abgekühlt werden. Für optische Fasern, in denen sich hochfrequente Schallwellen ausbreiten können, ist das bisher nicht gelungen. Nun ist das Team diesem Ziel nähergekommen: Die Forscher konnten die Temperatur einer Schallwelle in einer optischen Faser ausgehend von Raumtemperatur durch Laserkühlung um 219 Kelvin absenken – was zehnfach stärker ist als bisher berichtet.
Von den anfänglichen Phononen bleiben am Ende nur noch 25 Prozent übrig, bei einer Temperatur von 74 Kelvin. Eine solch drastische Temperatursenkung wurde durch den Einsatz von Laserlicht möglich. Die Kühlung der sich ausbreitenden Schallwellen wurde durch den nichtlinearen optischen Effekt der stimulierten Brillouin-Streuung erreicht, bei der Lichtwellen effizient an Schallwellen gekoppelt werden. Durch diesen Effekt kühlt das Laserlicht die akustischen Schwingungen ab und schafft eine Umgebung mit weniger thermischem Rauschen, was beispielsweise in einem Quantenkommunikationssystem in gewissem Maße ein störendes Rauschen darstellt. „Ein interessanter Vorteil von Glasfasern ist neben dieser starken Wechselwirkung die Tatsache, dass sie Licht und Schall hervorragend über große Entfernungen leiten können", sagt Laura Blázquez Martínez vom MPI für die Physik des Lichts.
Die meisten physikalischen Plattformen, die bisher in den Quantengrundzustand gebracht wurden, sind mikroskopisch. In diesem Experiment betrug die Länge der optischen Faser jedoch fünfzig Zentimeter: Die Schallwelle im Faserkern wurde über die gesamte Strecke auf extrem niedrige Temperaturen abgekühlt. „Diese Ergebnisse sind ein sehr spannender Schritt in Richtung des Quantengrundzustands in Wellenleitern und die Manipulation solch lang ausgedehnter akustischer Phononen eröffnet Möglichkeiten für breitbandige Anwendungen in der Quantentechnologie", so Birgit Stiller, Leiterin der Gruppe Quanten-Optoakustik am MPI für die Physik des Lichts.
In der klassischen Welt kann Schall als Dichtewelle in einem Medium verstanden werden. Aus der Sicht der Quantenmechanik lässt sich der Schall aber auch als Teilchen beschreiben. Dieses Phononen, also Schallquanten, stellen die kleinste Energiemenge dar, die als akustische Welle bei einer bestimmten Frequenz vorkommt. Um einzelne Schallquanten sehen und untersuchen zu können, muss die Anzahl der Phononen so gering wie möglich sein. Der Übergang vom klassischen zum Quantenverhalten des Schalls ist im Quantengrundzustand, in dem die Anzahl der Phononen im Durchschnitt nahe Null liegt, oft leichter zu beobachten, sodass die Schwingungen fast eingefroren sind und Quanteneffekte gemessen werden können.
„Das öffnet die Tür zu einer neuen Landschaft von Experimenten, die uns einen tieferen Erkenntnisgewinn über die grundlegende Natur der Materie erlauben“, so Stiller. Die Verwendung eines Wellenleitersystems hat den Vorteil, dass Licht und Schall nicht zwischen zwei Spiegeln gebunden sind, sondern sich entlang des Wellenleiters ausbreiten. Die akustischen Wellen existieren als Kontinuum – das heißt nicht nur bei einzelnen Frequenzen – und können eine große Bandbreite haben, was für Anwendungen wie Hochgeschwindigkeits-Kommunikationssysteme sehr interessant ist.
MPL / RK