20.09.2019 • Kernphysik

Auf dem Weg zur Kernuhr

Erstmals Energie beim Zerfall von Thorium-229 genau gemessen.

Die derzeit besten Atomuhren gehen in dreißig Milliarden Jahren nur um eine einzige Sekunde falsch. Die Kernuhr, die auf Energie­ver­ände­rungen im Kern des Isotops Thorium-229 basiert, könnte diese Präzision noch um eine ganze Größen­ordnung über­treffen. Ein Forscher­team unter der Leitung von Peter Thirolf von der Uni München ist jetzt einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Kernuhr voran­gekommen: Erstmals gelang es den Wissen­schaftlern, die Energie, die beim Zerfall dieses Kerns frei wird, genau zu vermessen – eine wichtige Voraus­setzung für die Entwicklung der Kernuhr.

Abb.: Experimentaufbau mit Uran-233-Quelle. (Bild: GSI)
Abb.: Experimentaufbau mit Uran-233-Quelle. (Bild: GSI)

Im Unterschied zu gewöhnlichen Atomuhren dienen bei Kernuhren nicht Schwingungen in der Elektronen­hülle von Atomen als Taktgeber, sondern Schwingungen im Atomkern selbst. Hervor­gerufen werden die Schwingungen durch Übergänge zwischen Energie­niveaus, die bei Atomuhren mit Lasern erzeugt werden. Allerdings liegen die in Atomkernen vorherr­schenden Energien um mehrere Größen­ordnungen über denen der Atomhülle, deshalb können Kerne mit heutigen Lasern normaler­weise nicht angeregt werden. Der einzige mögliche Kandidat für die Entwicklung einer Kernuhr ist Thorium-229, da dieses Isotop das bei weitem niedrigste angeregte Energie­niveau aller derzeit bekannten etwa 3800 Atomkerne besitzt. Für seine Anregung reicht ultra­violette Strahlung aus, die mit Lasern produziert werden kann.

Welche Art von Laser für die Anregung von Thorium-229 benutzt werden muss, war bisher aller­dings unklar, da die Eigen­schaften des Kerns nicht genau genug bekannt sind. „Die Energie beziehungs­weise Wellen­länge des Laser­lichts muss haar­genau auf die Energie des Kern­über­gangs abge­stimmt sein. Diese Energie haben wir in unseren Experi­menten nun erst­mals genau bestimmt“, sagt Benedict Seiferle von der Uni München.

Da der angeregte Zustand aktuell nicht direkt erzeugt werden kann, verwendeten die Wissen­schaftler angeregte Thorium-229-Kerne aus am GSI in Mainz herge­stellten Quellen. Daraus gewannen sie mithilfe einer an der Uni München entwickelten Apparatur Thorium-229-Kationen. Wenn Thorium-229 als Ion vorliegt, besitzt es einen mit einer Lebens­dauer von Stunden vergleichs­weise lang­lebigen ange­regten Kern­zustand. „Durch die lange Lebens­dauer finden aller­dings nur äußerst selten Zerfälle statt, die man messen kann. Gibt man diesem Ion seine Elektronen zurück, zerfällt der ange­regte Kern­zustand dagegen sehr schnell“, sagt Seiferle.

Deshalb nutzten die Wissenschaftler einen Trick: Sie schossen die Ionen durch eine Folie aus Graphen. Dann holt sich das Ion seine fehlenden Elektronen vom Graphen und verlässt die Folie als neutrales Atom. Durch die kontrol­lierte Neutra­li­sation zerfällt der angeregte Kern­zustand inner­halb weniger Mikro­sekunden und gibt seine Energie an ein Elektron ab, das dadurch aus der Atom­hülle heraus­ge­schossen wird und wieder ein Thorium-Ion zurück­lässt. Die kinetische Energie dieses Elektrons hängt von der Energie des ange­regten Kern­niveaus ab und kann dann mit einem Elektronen-Spektrometer vermessen werden. Die Inter­pre­tation der gemessenen Spektren ist allerdings anspruchs­voll, da das Elektron nur einen Teil der Kern­anregungs­energie trägt und ein anderer Teil beim Thorium-Ion zurück­bleibt. Die zu erwartenden Spektren konnten am MPI für Kern­physik in Heidel­berg vorher­gesagt werden. In Zusammen­arbeit mit den Kollegen weiterer Univer­sitäten gelang es dann, die Energie des Kern­zerfalls zu bestimmen.

Aus diesen Informationen konnten die Wissen­schaftler bestimmen, dass zur Anregung von Thorium-229 Laser­strahlen mit einer Wellen­länge von etwa 150 Nano­metern benötigt werden. Auf Basis dieser Ergebnisse können nun erstmals für die Anregung von Thorium-229 geeignete Laser konstruiert und damit die Entwicklung einer Kernuhr entscheidend voran­getrieben werden. Die Wissen­schaftler sind überzeugt, dass die Kernuhr etwa in der Grund­lagen­forschung zahl­reiche Anwendungen haben wird, da sich manche Frage­stellungen nur mithilfe extrem präziser Zeit­messungen beantworten lassen.

LMU / GSI / RK

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