25.08.2016

Auf den Millimeter genau

Geodätisches Referenzsystem für eine Positionsbestimmung mit extrem hoher Genauigkeit.

Um wie viele Millimeter steigt der Meeres­spiegel? Wie schnell bewegen sich Kontinente? Wie stark beein­flussen Hoch- und Tiefdruck­gebiete die Höhe der Landmassen? Um diese Fragen beantworten zu können, werden an mehr als 1700 Mess­punkten weltweit rund um die Uhr Daten gesammelt. Forscher der Tech­nischen Univer­sität München TUM werten diese aus. Ihre neue Reali­sierung des globalen Referenz­systems, die jetzt veröffentlicht wurde, ist so genau, dass man sogar jahres­zeitliche Varia­tionen damit aufspüren kann.

Abb.: Vier verschiedene Messsysteme (dargestellt in unterschiedlichen Farben) zeigen an, wohin und wie schnell die Kontinente wandern. (Bild: DGFI-TUM)

Immer wissen, wo man ist – dank Smartphone heute kein Problem mehr. Die eingebaute GPS-Funktion errechnet sogar in abgelegenen Bergtälern den exakten Standort. Die Informa­tionen dafür liefern Satelliten, die per Mikrowellen­strahlung ihre Position zur Erde funken. Doch woher wissen die Satelliten, wo sie sind? „Die ganz all­tägliche Standort­bestimmung wäre nicht möglich ohne ein hoch­komplexes Referenz­system, das immer wieder aktualisiert werden muss“, antwortet Florian Seitz, Direktor des Deutschen Geo­dätischen Forschungs­instituts der TUM. Sein Team hat soeben den DTRF2014 veröffent­licht – die neue Rea­lisierung des Inter­nationalen Terres­trischen Referenz­systems.

Die Aktua­lisierung ist nötig, weil die Erde im Wandel ist. Mit 6,9 Zenti­metern pro Jahr rückt beispiels­weise Australien nach Nordosten und um 7,1 Zenti­meter pro Jahr schiebt sich Hawaii nach Nordwesten. Europa und Amerika driften auseinander, die skan­dinavischen Länder, auf denen einst Eispanzer gelegen haben, heben sich. „Um diese Bewegungen exakt messen zu können, braucht man ein stets hoch­genaues Bezugs­system über viele Jahrzehnte hinweg. Dabei müssen viele dynamische Prozesse berücks­ichtigt werden, beispiels­weise die ungleichmäßige Rotations­geschwindigkeit der Erde“, sagt Seitz.

Doch wie schafft man ein allgemein gültiges Bezug­system, wenn nichts bleibt, wie es ist? Die Geodäten haben hierfür ein Netz aus weltweit 1712 Mess­stationen aufgebaut. Eine der am besten aus­gestatteten ist das Geo­dätische Obser­vatorium Wettzell, das von der TUM mitbetrieben wird. Auf dem Gelände stehen drei Radio­teleskope für Very Long Baseline Inter­ferometry (VLBI), die Radio­wellen empfangen, welche von Quasaren ausgesandt werden. Die Messungen erlauben Rück­schlüsse auf Ver­änderungen der Position unseres Planeten im All. Außerdem ermitteln zwei Satellite Laser Ranging (SLR)-Systeme mit Hilfe starker Laser­strahlen den Abstand zu Satel­liten, die das Laser­licht reflek­tieren.

Auf diese Weise lassen sich feinste Ver­schiebungen der Boden­station dokumen­tierten. Ergänzt werden diese Messungen durch mehrere Boden­stationen des Global Navigation Satellite System (GNSS), die Daten von GPS, Galileo und GLONASS empfangen. Die drei Beobachtungs­verfahren VLBI, SLR und GNSS bilden die Grundlage der Berechnungen des DTRF2014. Dazu kommt noch das Doppler-System DORIS, die Abkürzung steht für Doppler Orbi­tography and Radio­positioning Integrated by Satellite.

„Durch die Kombination der ver­schiedenen Messungen können wir genau berechnen, mit welcher Geschwindig­keit sich der Standort Wettzell bewegt“, sagt TUM-Forscher Mathis Bloßfeld. Mit 25,4 Millimeter pro Jahr wandert Wettzell nach Nordost. Zusammen mit seinen Kollegen hat der Ingenieur auch die Bewegung der übrigen global verteilten Messpunkte ermittelt. Komplexe, eigens für diesen Zweck entwickelte Algo­rithmen helfen dabei. „Der Prozess lässt sich aber nicht vollständig automatisieren“, erläutert Seitz: „Sprung­hafte Positions­veränderungen, die beispiels­weise durch die Erdbeben in Chile 2010 oder Japan 2011 ausgelöst wurden, müssen bereinigt werden, um keine falschen Rückschlüsse auf künftige Bewegungen zu ziehen.“ Durch sorgfältige Analyse konnten die TUM-Forscher jetzt feinste, jahres­zeitliche Variationen im Millimeter­bereich in den Koordinaten abbilden. Diese Varia­tionen entstehen, wenn lang anhaltende Hochdruck­gebiete die Landmassen zusammen­drücken oder Tiefdruck­gebiete diese entlasten.

Die neue Rea­lisierung des Inter­nationalen Terres­trischen Referenz­systems DTRF2014, die die Geodäten an der TUM im Auftrag des Inter­nationalen Erd­rotations- und Referenz­system­dienstes erstellt haben, wird in der Fachwelt schon ungeduldig erwartet. Der Datensatz zeigt, mit welcher Geschwindig­keit und Richtung sich die Messpunkte in den vergan­genen Jahren bewegt haben. Auf dieser Grundlage lässt sich berechnen, wo die Punkte in einigen Monaten oder Jahren liegen werden.

Interessant sind die Ergebnisse für Geo­wissenschaftler, die mit Hilfe der Daten die Bewegung der Erdkruste exakt nach­vollziehen und Rück­schlüsse ziehen können auf die Dynamik in Erdinneren. Und die Geodäten benötigen das hoch­genaue globale Koordinaten­system für die Bestimmung des globalen Meeres­spiegel­anstiegs – auf Milli­meter genau. „Vor allem aber schafft das System eine neue Grundlage für die Posi­tionierung von Satel­liten und verbessert somit die Genauigkeit aller satelliten­gestützen Navigations­systeme“, sagt Seitz.

TUM / JOL

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