Auf der Suche nach Hochtemperatur-Supraleitern
Quantencomputer könnten schon bald Materialeigenschaften im Detail simulieren.
In der Materialwissenschaft spielen Computersimulationen eine wichtige Rolle. Am Rechner werden Materialien vorab simuliert, um Eigenschaften wie Festigkeit oder Leitfähigkeit festlegen zu können. Aber selbst modernste Hochleistungsrechner gelangen an ihre Grenzen, die umso schneller erreicht sind, je komplexer das Material ist. Ein Quantencomputer könnte die Aufgabe viel schneller erledigen. Pierre-Luc Dallaire-Demers und Frank Wilhelm-
Hätte es im Sommer 2015 bereits industriell nutzbare Raumtemperatur-Supraleiter gegeben, wäre der Koalitionskrach um Hochspannungstrassen quer durch Deutschland überflüssig gewesen. Denn Supraleiter erlauben es, Strom ohne Widerstand über weite Strecken zu transportieren. „Riesige Hochspannungsleitungen bräuchte man dann nicht mehr“, sagt Frank Wilhelm-Mauch. Der ideale Raumtemperatur-Supraleiter würde bei normalen Temperatur- und Druckverhältnissen funktionieren. Um aber solche Materialien herstellen zu können, müsste man die Eigenschaften von in Frage kommenden Materialien bis ins Detail verstanden haben.
Und genau hier liegt das Problem. „Die Eigenschaften von Hochtemperatur-Supraleitern, die wenigstens in flüssigem Stickstoff funktionieren, sind zwar bekannt, unter anderem der widerstandsfreie Stromtransport. Aber die Physik, die dahinter steckt, ist noch weitgehend unverstanden. Daran haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch gestandene Nobelpreisträger die Zähne ausgebissen“, erläutert Wilhelm-Mauch. Die Wechselwirkungen der Hochtemperatur-Supraleiter auf atomarer Ebene und darunter sind derart komplex, dass selbst die schnellsten Computer unglaubliche Datenmengen produzieren, wenn sie versuchen, den Ablauf im Material zu simulieren. „Es reicht nicht, in einem Supraleiter einzelne Elektronen und Atome zu betrachten. Es sind vielmehr alle Teilchen zusammen für die Eigenschaften entscheidend, sie bilden also ein Vielteilchen-Quantensystem.“ Um die Materialeigenschaften vollständig zu verstehen, müssen die Wissenschaftler also alle Zustände in einem solchen Quantensystem abspeichern können. Und das macht die Simulation so rechen- und speicherintensiv.
Dallaire-Demers und Wilhelm-Mauch haben jetzt eine Methode entwickelt, um die Eigenschaften eines Hochtemperatur-Supraleiters effizienter zu simulieren. „Wir zerlegen einfach einen Supraleiter, der auch in kleinsten Proben noch aus 10 hoch 10 Quantenteilchen besteht, in einzelne Teile. So reduzieren wir die Menge der Teilchen, deren Wechselwirkungen wir auf dem Quantencomputer simulieren müssen. Und am Ende setzen wir alles wieder zu einem vollständigen Supraleiter zusammen. Der Clou der Methode ist, dass sie also den Quantencomputer nur da aufruft, wo er unverzichtbar ist, und für alles andere einen klassischen Rechner nimmt. Mit einem Quantencomputer aus etwa 80 Qubits und diesem effizienten Algorithmus könnten wir auf diese Weise in einigen Jahren einen herkömmlichen Computer in der Rechenleistung und der Speicherkapazität schlagen“, sagt Wilhelm-Mauch.
Solche Computer könnten – im Gegensatz zum Allzweck-Super-Quantencomputer, – in einem überschaubaren Zeitraum Wirklichkeit werden, schätzt Wilhelm-Mauch. Aktuelle Quantencomputer rechnen unter Laborbedingungen bereits stabil mit 9 bis 14 Qubits. Wenn der Trend so weiter geht, könnten Materialforscher dann Supraleiter erforschen sowie neue Materialien modellieren und entwickeln, die bei immer höheren Temperaturen bis hin zur Raumtemperatur supraleiten. Wenn das gelingt, kann man Stromtrassen errichten, die nicht die gigantischen Ausmaße heutiger Hochspannungsleitungen erreichen.
UdS / RK