08.08.2016

Aufbruch in die nächste Dimension

Weißes Röntgenlicht ermöglicht dreidimensionale Rekonstruktion von kristallographischen Texturen aus nur einem Blickwinkel.

Ob beim Aufbau von Knochen, Muschelschalen oder Korallen: Lebewesen sind wahre Meister der Kristallisation. Im Labor lässt sich diese erstaunliche Präzision bisher nicht nachahmen. Die Vorgänge und oft auch der genaue Aufbau der Biomineralien sind noch weitgehend unerforscht. Ein internationales Team stellt nun eine drei­dimensionale Röntgen­beugungs­methode zur Bestimmung der kristallo­graphischen Textur (der bevorzugten Orientierung der kleinen Kriställchen in einem Festkörper) vor, die eine bisher beispiellose räumliche Auflösung liefert.

Abb.: Dreidimensionale Röntgenbeugungsmethode zur Bestimmung der kristallographischen Textur (Bild: Wiley-VCH)

Ob Mineral, Biomineral oder anorganischer Werkstoff – die Anordnung der einzelnen Kristallite hat einen großen Einfluss auf dessen Eigenschaften. Die Textur einer Probe lässt sich durch Röntgen­beugung bestimmen. Röntgen­strahlen werden an der Elektronen­hülle der Atome abgelenkt, die von den einzelnen Atomen ausgehenden Wellen interferieren und in Abhängigkeit von Abstand und Anordnung der Atome ergeben sich Beugungs­muster, die man mit einem Detektor aufzeichnen kann und die Rückschlüsse auf die Anordnung der Kristallite zulassen. Diese konventionelle Analyse­methode liefert aber nur eine Projektion, also zwei­dimensionale Daten. Dreidimensional räumlich aufgelöste Informationen erfordern die Drehung der Probe im Strahl. Dabei ändert sich jedoch das beleuchtete Proben­volumen, die Signale verschmieren. Komplexe Strukturen lassen sich so schwer untersuchen.

Dieses Hindernis hat ein Team aus Forschern von der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien, der Universität Gent, dem Deutschen Elektronen­synchrotron in Hamburg, dem Europäischen Synchrotron ESRF in Grenoble, der Universität Liverpool sowie der Niederländischen Wissenschafts­organisation NWO jetzt überwunden. Schlüssel zum Erfolg war, die Probe mit „weißem“ Röntgen­licht aus einem Synchrotron zu bestrahlen, das heißt nicht nur mit einer Energie, sondern mit einem ganzen Energie­spektrum. Das liefert zusätzliche Informationen, da jede Energie anders gebeugt wird. Mit einer speziellen Kamera ließ sich das Beugungs­muster nach Energie getrennt aufzeichnen und so das jeweilige Spektrum in jedem einzelnen Pixel auflösen. Rechen­verfahren ermöglichen es, die Röntgen­photonenenergie in die fehlende dritte Dimension im Raum zu übersetzen.

Am Beispiel von Kohlenstofffasern, die eine gut bekannte Fasertextur haben, belegten die Forscher um Helga Lichtenegger die Leistungs­fähigkeit ihrer Methode. Zudem untersuchten sie die Schale des Amerikanischen Hummers. Sie soll aus Lagen helikal angeordneter mit amorphem Kalzium­karbonat mineralisierter Chitin­fasern bestehen. Senkrecht zur Chitin­schicht sollen Kalzit-Kriställchen angeordnet sein. Diese Annahmen konnten jetzt bestätigt und weiter präzisiert werden.

„Unsere neue Methode liefert direkte 3D-Informationen mit einer einzigen Messung – ohne Vorwissen über die Probe“, so Lichtenegger. „Sie erlaubt die Textur­analyse großer Proben mit komplexen Sub­strukturen und eröffnet so die Möglichkeit, Textur-Änderungen in situ zu verfolgen, etwa während der Kristallisation.“

GdCh / DE

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