Aus dem Nichts
Neue Methode, äußerst empfindliche Quantenzustände aus dem Vakuum zu erzeugen.
Eine der überraschendsten Vorhersagen der Quantenmechanik ist es, dass sich ein Quantenobjekt in mehreren Zuständen gleichzeitig befinden kann. Leider sind solche Überlagerungszustände jedoch sehr empfindlich, sodass sie nur in einem vollständig isolierten System überleben können. Doch selbst bei bester experimenteller Realisierung gibt es noch einen quantenmechanischen Störeffekt: Während das Vakuum aus klassischer Sicht leer ist, entstehen im quantenmechanischen Vakuum permanent Teilchen, die nach kürzester Zeit wieder verschwinden.
Abb.: Die Probe mit den zwischen spiegelnden Schichten eingebetteten Eisenatomen wird im flachen Winkel mit Röntgenlicht bestrahlt und das reflektierte Licht gemessen. (Bild: MPIK)
Bereits die Wechselwirkung dieser unvermeidlichen Vakuumfluktuationen mit dem Überlagerungszustand genügt oft, um ihn zu zerstören. Ein viel versprechender Ausweg ist aus theoretischer Sicht bereits seit mehr als 40 Jahren bekannt. Damals wurde vorhergesagt, dass die Wechselwirkung mit dem Vakuum derart manipuliert werden kann, dass sie stattdessen die gewünschten Überlagerungszustände erzeugt. Leider ist dies jedoch an strenge Bedingungen geknüpft, was die experimentelle Ausnutzung bisher verhindert hat.
Theoretische Überlegungen von Kilian Heeg und Jörg Evers vom MPI für Kernphysik haben nun gezeigt, wie die strikten Bedingungen umgangen werden können. Hierzu ersannen sie zwei Tricks. Zum einen wird der Überlagerungszustand in Atomkernen erzeugt, die von zwei Spiegeln umgeben sind. Dadurch lässt sich die Wechselwirkung mit den Teilchen aus dem Vakuum gezielt beeinflussen. Zum anderen betrachten die beiden Theoretiker eine große Zahl von Atomkernen zwischen den Spiegeln, sodass kollektive Effekte die auftretenden Mechanismen verstärken. Die beiden Kniffe zusammen erlauben es, robuste Überlagerungen zwischen verschiedenen Anregungszuständen der Atomkerne entstehen zu lassen.
Abb.: Experimentelle Messdaten in Schwarz im Vergleich zu den theoretischen Vorhersagen in Rot. (Bild: MPIK)
Hans-Christian Wille und Ralf Röhlsberger vom DESY leiteten ein Experiment, mit dem sie die Erzeugung der Überlagerungszustände durch das Vakuum in guter Übereinstimmung mit den Vorhersagen demonstrieren konnten. Dazu betteten sie eine große Zahl von Eisenkernen als Schicht von 2,5 Nanometern zwischen ähnlich dünne Schichten aus Palladium ein, die als Spiegel wirkten. Die so präparierten Kerne untersuchten sie dann mit Röntgenstrahlen aus der Synchrotronquelle PETRA III des DESY in Hamburg. Mit einem unter der Leitung von Ingo Uschmann und Gerhard Paulus von der Universität und dem Helmholtz-Institut Jena entwickelten Röntgenpolarimeter gelang es, das Signal mit bisher unerreichter Effizienz zu detektieren. Die Experimentatoren konnten die Wechselwirkung zwischen dem Vakuum und den Atomkernen durch ein zusätzlich angelegtes schwaches Magnetfeld erfolgreich kontrollieren.
Diese Methode eröffnet vielfältige Möglichkeiten für zukünftige Experimente: Die durch das Vakuum erzeugten Überlagerungszustände können systematisch untersucht und für Anwendungen ausgenutzt werden, denn das jetzt angewendete Schema ist nicht auf den Röntgenbereich beschränkt, sondern funktioniert prinzipiell auch mit sichtbarem Licht. So ergibt sich die Chance, die bisher theoretisch vorgeschlagenen Anwendungen zu realisieren, die von neuartigen Laser-Mechanismen bis hin zur Steigerung der Effizienz von Solarzellen reichen.
Möglicherweise gelingt es auch, die Eigenschaften der Atomkerne dynamisch zu verändern. Gleichzeitig zeigt das jetzt erfolgreich durchgeführte Experiment, wie sich störungsfreie und vielseitig konfigurierbare quantenoptische Modellsysteme für Anwendungen mit harter Röntgenstrahlung verwirklichen lassen, was eine interessante Zukunftsperspektive für neuartige Röntgen-Lichtquellen wie den derzeit in Hamburg im Bau befindlichen European XFEL bietet.
MPIK / PH