Außeneinsatz mit Bravour
Nach fast vierjähriger Wartezeit war es am Dienstag so weit: Der sehnsüchtig erwartete Ausbau der Internationalen Raumstation ISS ging endlich weiter.
Heikler : Ausbau der ISS geht endlich weiter
Washington (dpa) - Nach fast vierjähriger Wartezeit war es am Dienstag so weit: Der sehnsüchtig erwartete Ausbau der Internationalen Raumstation ISS ging endlich weiter. Zwei US- Astronauten des Shuttle «Atlantis» stiegen am Dienstag für genau sechs Stunden und 23 Minuten ins All aus, um an der Installation von zwei mächtigen Sonnensegeln zu arbeiten. Ihre Hauptaufgabe: die Verkabelung und richtige Befestigung der gewaltigen neuen Ausstattung. Wenn alles auch bei einem zweiten für diesen Mittwoch geplanten Ausstieg klappt, sollen die Segel bereits am Donnerstag entfaltet werden und die ISS dann mit so viel Energie versorgen, wie sie für 30 Haushalte auf der Erde ausreichen würde.
Das wiederum wird bedeuten, dass künftig sechs statt drei Astronauten im Außenposten der Erde und arbeiten können. «Das ist ein gewaltiger Schritt», kommentierte NASA-Sprecher Pat Ryan in der Bodenzentrale in Houston (Texas) am Dienstag. Wie er hatten Weltraumfans rund um den Globus den Außenbordeinsatz des Duos Joe Tanner und Heidemarie Stefanyshyn-Piper mit Spannung erwartet. Und sie wurden nicht enttäuscht. Die beiden Amerikaner arbeiteten so schnell und reibungslos, dass ihnen sogar noch mehr Aufgaben übertragen wurden als ursprünglich vorgesehen war.
«Ein toller Job» lobten denn auch die NASA-Bodenkontrolleure beim Wiedereinstieg der beiden Raumfahrer von der «Atlantis», die am Montag mit einem wahren «Bilderbuch-Manöver» an die Station angelegt hatte. Tanner antwortete bescheiden: «Wir haben getan, was wir konnten.» Dass alles wie am Schnürchen verlief, hatten die beiden Astronauten freilich auch selbst schon während ihres Schraubens und Festzurrens zu erkennen gegeben. «Super», «sehr gut», sagte Joe Tanner immer wieder und sparte nicht mit Lob für seine Gefährtin Heide: Für sie war es der erste Außeneinsatz, während er in seiner Astronauten-Laufbahn insgesamt schon mehr als 30 Stunden im All gewerkelt hat. «Prima gemacht», bescheinigte er dem «Neuling».
Von der Bodenstation in Houston aus wurde der Einsatz gesteuert: Sage und schreibe 100 Seiten umfasste das «Choreographie-Handbuch», mit dem die Experten auf der Erde ihre Kollegen in der Schwerelosigkeit anleiteten. Die Vorbereitung auf die zuvor von NASA- Flugdirektor Paul Dye als «heikel und äußerst wichtig» beschriebenen Mission hatte schon kurz nach dem Rendezvous zwischen Shuttle und ISS am Montag begonnen. Auch der Deutsche Thomas Reiter, der zur Zeit an Bord des Außenpostens lebt, half kräftig mit. Neben dem Umladen von Versorgungs- und Ausrüstungsgütern aus der Raumfähre in die Station galt es zunächst, das 17,5 Tonnen schwere Sonnensegel-Segment mit Hilfe des Shuttle-Roboterarms aus der Ladebucht der «Atlantis» zu hieven. Es wurde dann von einem robusteren Kranarm der ISS aufgegriffen und kurz vor dem Ausstieg der beiden Astronauten in die richtige Position an der Außenwand der ISS gesteuert.
Tanner und Piper verbrachten die Nacht vor dem Einsatz bei verringertem Luftdruck in der Luftschleuse am Ausgang - ein neues Verfahren, mit dem bei der Vorbereitung auf den Ausstieg eine Stunde Zeit gespart werden soll. «Camp out» hat die NASA dies getauft. Nach dem per Computer gesteuerten Aufsetzen wurde das Segment automatisch mit Bolzen verschraubt. Tanner und Piper mussten dann die Feinarbeiten vornehmen: Zusätzliche Schrauben eindrehen, die «Gelenke» zur Bewegung der Sonnensegel lockern und vor allem mehr als ein Dutzend Stromkabel verlegen. Denn die empfindliche Elektronik im Segment muss vor Kälte geschützt werden. Dazu sind bis zur vollen Funktionsfähigkeit der Sonnensegel Heizkörper nötig, die von der ISS mit Strom versorgt werden.
An diesem Mittwoch sollen zwei weitere Astronauten, Dan Burbank und Steve MacLean, ins All aussteigen, um die Entfaltung der Sonnensegel vorzubereiten. Ein dritter für Freitag vorgesehener Ausstieg - dann wiederum von Tanner und Piper - gilt der Verbesserung des Kommunikationssystems.
Eigentlich hatte die «Atlantis» die 293 Millionen Euro teuren Sonnensegel schon im Frühjahr 2003 zur ISS bringen sollen. Nach dem Absturz der «Columbia» am 1. Februar des Jahres stoppte die NASA jedoch alle Transportflüge. Damit mussten das europäische Weltraumlabor «Columbus» und ein weiteres japanisches Modul mit dem Namen «Kibo» am Boden bleiben. Sind die Sonnensegel gesetzt und wird damit wie erhofft die Energieversorgung in der ISS verdoppelt, können beide Teile im nächsten Jahr andocken und in Betrieb genommen werden. Es ging also um viel - nicht nur für Tanner und Piper.
Von Gabriele Chwallek, dpa