Außergewöhnliches Metamaterial
Neuartiges Metamaterial zeigt lokal unterschiedliches Dehnungsverhalten.
Metamaterialien sind künstlich entwickelte Materialien mit besonderen optischen, elektrischen oder magnetischen Eigenschaften. Entscheidend für die Funktion ist die Wechselwirkung zwischen den Bausteinen: Bislang war diese meist nur zwischen unmittelbar benachbarten Bausteinen möglich. Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben ein mechanisches Metamaterial entwickelt, mit dem sich Wechselwirkungen auch über größere Entfernungen im Material auslösen lassen. Das Material könnte Anwendung finden, wenn es um das Messen von Kräften oder das Überwachen von Statik geht.
Der Arbeitsgruppe von Martin Wegener am Institut für Angewandte Physik (APH) des KIT ist es damit gelungen, eine Einschränkung in Metamaterialien zu überwinden. Hauptautor Yi Chen vergleicht dies mit der menschlichen Kommunikation und einem Effekt, den man aus dem Spiel „Stille Post“ kennt: Kommuniziert man mit einem Menschen über einen Vermittler, kann am Ende etwas völlig anderes herauskommen als im direkten Gespräch mit dieser Person. Dieses Prinzip gelte auch für Metamaterialien, sagt Chen. „Das von uns designte Material hat spezielle Strukturen. Durch diese können einzelne Bausteine nicht mehr nur über ihre Nachbarn mit weiter entfernten Bausteinen ‚kommunizieren‘, sondern auch direkt mit allen anderen Bausteinen im Material“, so der Wissenschaftler.
„Diese Strukturen verleihen dem Material faszinierende Eigenschaften, beispielsweise ungewöhnliche Dehnungseigenschaften“, berichtet Co-Autor Ke Wang vom APH. Dies konnte das Team an mikrometergroßen Materialproben nachweisen, die es mit 3D-Laserdrucktechnologie herstellte, unter dem Mikroskop untersuchte und mit einer Kamera aufzeichnete. Dabei zeigte sich, dass sich ein eindimensionaler Strang, der von einem Ende aus gezogen wurde, nicht gleichmäßig ausdehnte.
Anders als beispielsweise bei einem Gummiband, das sich bei Zug gleichmäßig dehnt, zeigte das Metamaterial an einigen Stellen sogar Stauchungen. Auch ließen sich kürzere Abschnitte des Metamaterials teilweise stärker dehnen als längere Abschnitte, auch wenn überall dieselbe Kraft angewendet wurde. „Dieses ungewöhnliche Verhalten, dass einzelne Dehnungen und Kompressionen nur lokal auftreten, ist in herkömmlichen Materialien nicht möglich“, sagt Jonathan Schneider vom APH, ebenfalls Co-Autor. „Wir werden dies nun auch an zweidimensionalen, plattenartigen Materialien und dreidimensionalen Materialien untersuchen.“
Eine potenziell nützliche Eigenschaft könnte auch sein, dass das Metamaterial hochsensibel auf Belastungen reagiert. Je nachdem, an welchem Punkt im Material Kraft angewendet wird, kann dies zu völlig unterschiedlichen Dehnungsreaktionen auch an weiter entfernten Punkten führen. Bei einem herkömmlichen Material seien Reaktionen nur direkt am Punkt des Krafteinsatzes zu beobachten, so das Forschungsteam, während sich an entfernten Stellen im Material nur schwache oder vernachlässigbare Auswirkungen verfolgen lassen. Ein Material mit dieser Sensibilität könnte für Anwendungen wertvoll sein, bei denen Kräfte in größerem Maßstab gemessen werden sollen, beispielsweise bei der Überwachung von Gebäudeverformungen im Ingenieurwesen oder bei der Charakterisierung von Zellkräften in der biologischen Forschung.
KIT / DE