23.09.2024

Bakterien nutzen aktiv passive Physik

Biophysikalische Interaktionen eine wichtige Rolle in bakteriellen Lebenszyklen und Infektionen.

Bakterielle Zellen nutzen häufig Oberflächen, um sich zu komplexen heterogenen Gemeinschaften – Biofilme genannt – zusammenzuschließen. Innerhalb einer Gruppe sind Bakterien eines Biofilms extrem widerstandsfähig gegenüber unterschiedlichen Umwelteinflüssen, – eine entscheidende Eigenschaft, die es extrem schwierig macht, biofilmassoziierte Infektionen mit Antibiotika zu behandeln. Seit über fünfzig Jahren dreht sich die Biofilm-Forschung um die biologischen Prozesse, die es Biofilmen ermöglichen, sich zu entwickeln und gegenüber Antibiotika tolerant zu werden. Doch Bakterien nutzen auch physikalische Prozesse, um Biofilme zu formen und zu erhalten, sogar unter extremen Stressbedingungen. Biophysikalische Interaktionen spielen daher, in Ergänzung zu biomolekularen Details der Signalübertragung und Regulierung, eine wichtige Rolle in bakteriellen Lebenszyklen und Infektionen.

Abb.: Physik der Biofilme.
Abb.: Durch die Erweiterung des Ansatzes, Biofilme (links) in einzelne Zellen, Genexpression und verwandte Moleküle (oben) zu zerlegen, untersuchen Forscher ihr komplexes Zusammenspiel, das in einem räumlich und zeitlich organisierten Mikromilieu (rechts) stattfindet.
Quelle: J. N. Wilking

„Die Biofilm-Forschung hat sich von der Wahrnehmung des Bakteriums als einzelne Zelle zu der Erkenntnis entwickelt, dass Bakterien sich unter den richtigen Umständen zu Zellgruppen anhäufen und Biofilme ausbilden“, erläutert Roberto Kolter von der Harvard Medical School in den USA. Ein aktueller Fortschritt in Biofilm-Forschung ist deren Vergleich mit menschlichem Gewebe, hinsichtlich der Komplexität und Heterogenität. Teilweise werden Biofilme sogar als dauerhafter Bestandteil menschlichen Gewebes angesehen, beispielsweise bei oralen Biofilmen auf unseren Zähnen oder dem Mikrobiom im menschlichen Darm.

Eine bemerkenswerte Eigenschaft von Biofilmen, die sie mit eukaryotischem Gewebe gemein haben, ist, dass sich Bakterien in die von ihnen selbst sekretierte extrazelluläre polymerische Matrix einbetten. Diese hält die Zellen zusammen, verleiht den Biofilmen mechanische Stabilität, dient als Wasser- und Nährstoffreservoir und schützt vor antimikrobiellen Wirkstoffen. „Wir ermutigen dazu, die Diskussion von der extrazellulären Matrix auf den extrazellulären Raum auszuweiten“, betont Liraz Chai von der Hebrew University of Jerusalem in Israel. „Die extrazelluläre Matrix ist eine einzelne Komponente in einem einzigartigen Milieu. In diesem kann sie sich mit Wasser und gelösten Nährstoffen, Signalmolekülen, Abfallprodukten und Metallionen vollsaugen. Innerhalb des Milieus beeinflusst eine weite Spanne physikalischer Prozesse direkt die Physiologie des Biofilms: Moleküle und Bakterien beeinflussen sich wechselseitig.“

Wasser ist unerlässlich für alle lebenden Organismen und dominiert den extrazellulären Raum in Biofilmen. Durch Osmose kann die extrazelluläre Matrix Wasser aus der Umgebung aufsaugen und hilft Biofilmen sich auszudehnen, ähnlich wie bei einem Schwamm. Die Verdunstung von Wasser auf den Oberflächen der Biofilme kann die Wasserströme antreiben, die neue Nährstoffe mit sich bringen. Biofilme sind teilweise sogar in der Lage, gefäßähnliche Kanäle zu formen, die den Wasserstrom dorthin lenken, wo er am meisten gebraucht wird. Wenn Wasser knapp wird, können Biofilme als Reaktion auf den Austrocknungsstress dieses im extrazellulären Raum zurückhalten. Sie können sogar ihre extrazellulären Polysaccharid-Komponenten in den physikalischen Glaszustand versetzen – eine Strategie, die von austrocknungstoleranten Pflanzensamen und Bärtierchen bekannt ist.

Neben Wasser unterstützt der extrazelluläre Raum molekulare Selbstorganisationsprozesse. Beispielsweise formen Proteine Komplexe, während die Anhäufung von Mineralen, die durch die organische, extrazelluläre Matrix bedingt wird, zur Biomineralisierung von Biofilmen führen kann, wie bei der Bildung von harter Plaque auf der Zahnoberfläche.

Eine der spannenden zukünftigen Forschungsrichtungen ist es, zu verstehen, wie die physikalischen Prozesse im extrazellulären Raum auf genetischem Level innerhalb der eingebetteten Bakterien reguliert werden. Die Forscher argumentieren, dass die Regulationswege, die zur Matrixsekretion führen, relativ gut verstanden sind. Wie jedoch die Abfolge der Ereignisse bei der Matrixproduktion in Abhängigkeit von der Mikroumgebung der Zelle orchestriert wird, und wie sie sich als Reaktion auf äußere Störungen verändern könnte, ist eine ungeklärte Frage. „Dennoch könnten sehr fundamentale physikalische Prozesse der Schlüssel zum Verständnis dieser komplexen hierarchischen Raum-Zeit-Organisation sein, die von der Nanometerskala einzelner Proteine bis hin zu ganzen Biofilmen im Zentimeterbereich reicht“, erklärt Vasily Zaburdaev von der Uni Erlangen-Nürnberg und Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin.

MPL / RK

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