Berechnete Atmosphären von Exoplaneten
Elegante Methode zur Bestimmung der Konzentration verschiedener Moleküle entwickelt.
Normalerweise lassen sich Berechnungen mit dem Computer viel schneller durchführen als von Hand. Doch mit einer einfachen Formel erzielt Kevin Heng, Astrophysiker an der Universität Bern, seine Resultate tausende Male schneller als mit herkömmlichen Computercodes. Heng berechnet die Häufigkeit bestimmter Moleküle in der Atmosphäre von Exoplaneten. Diese Atmosphärenchemie soll schlussendlich klären, ob physikalische, geologische oder biologische Prozesse hinter beobachteten Messwerten stehen.
Abb.: Darstellung eines erdähnlichen Exoplaneten mit Atmosphäre. (Bild: ESO)
Mit ihren raffinierten Instrumenten können Astronomen heute nicht nur neue Exoplaneten aufspüren, sondern auch die Atmosphäre einiger dieser fernen Welten charakterisieren. Entspricht eine Beobachtung den Erwartungen oder sorgt sie für eine Überraschung? Um diese Frage zu beantworten, berechnen Theoretiker die erwartete Häufigkeit von Molekülen in der Planetenatmosphäre. „In der Sonne und den anderen Sternen ist jeweils ein bestimmter Anteil chemischer Elemente wie Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff enthalten“, sagt Kevin Heng. „Und es gibt viele klare Hinweise, dass die Planeten aus dieser Sternsubstanz geformt werden.“ Aber während die chemischen Elemente in den Sternen als Atome vorkommen, bilden sie bei den tieferen Temperaturen in der Atmosphäre der Exoplaneten verschiedene Moleküle je nach Temperatur und Druck.
So kommt beispielsweise bei niedriger Temperatur der meiste Kohlenstoff in Form von Methan vor, bei hoher Temperatur hingegen als Kohlenmonoxid. Kohlenstoff kann auf sehr viele Arten chemisch reagieren. Deshalb sind herkömmliche Berechnungen komplex und sehr zeitaufwändig. „Ich habe einen Weg gefunden, wie dies viel schneller geht, indem ich 99 Prozent des Problems auf dem Papier löse, bevor ich einen Computer auch nur berühre“, sagt Heng: „Normalerweise löst man ein System von sogenannten gekoppelten, nichtlinearen Gleichungen. Mir ist es gelungen, das Problem auf eine einzige Polynomgleichung zu reduzieren, indem ich das Gleichungssystem auf dem Papier entkoppelt habe, anstatt einen Computer zu benützen.“ Die Lösung dieser Polynomgleichung benötigt dann einen Bruchteil der ursprünglichen Computerzeit.
„Dieser Durchbruch reduziert nun den Hauptteil des Programms auf eine Computercode-Zeile. Nun können wir die Chemie in einer Exoplaneten-Atmosphäre in 10 Millisekunden statt in einigen Minuten berechnen“, sagt Heng. Die Ergebnisse zeigen erstaunlich exakt die relativen Häufigkeiten von verschiedenen Molekülen wie Methan, Kohlenmonoxid, Wasser oder Ammoniak in Abhängigkeit der Temperatur darstellen. „Man kann den Unterschied zwischen meinen Berechnungen und denjenigen mit dem komplizierten Computercode kaum feststellen“, fasst Heng zusammen. So sorgte die Studie in der Fachwelt für Aufsehen, noch bevor sie offiziell veröffentlicht wurde.
Die neue analytische Methode hat mehrere Auswirkungen. Dank der gewaltigen Beschleunigung können die verschiedenen Möglichkeiten bei der Interpretation der Spektren der Planetenatmosphären gründlicher untersucht werden. Hengs Berechnungen erleichtern auch anderen den Zugang: „Jetzt kann jede Astronomin, jeder Astronom irgendwo auf der Welt die Atmosphärenchemie von Exoplaneten berechnen. Man muss dafür keinen ausgeklügelten Computercode mehr einsetzen.“
Die Astronomen hoffen, dass sie mithilfe der Beobachtung der Atmosphäre von Exoplaneten herausfinden, wie die Himmelsobjekte entstanden sind und welche Prozesse noch immer ablaufen. Unterschiede zwischen der beobachteten und der berechneten Häufigkeit von Molekülen könnten geologische oder biologische Prozesse aufdecken. „Wenn wir in 20 oder 30 Jahren eine Exoplaneten-Atmosphäre mit Wasser, Sauerstoff, Ozon und anderen Moleküle entdecken, können wir uns vielleicht fragen, ob wir Leben beobachten“, sagt Heng. Zuerst müsse aber geprüft werden, ob sich die Daten mit Physik oder Geologie erklären lassen.
U Bern / JOL