15.05.2023

Berechnete Wege zum optimalen Glas

Neues Verfahren soll zu Glaswerkstoffen mit maßgeschneiderten Eigenschaften führen.

Glas lässt sich in nahezu unbegrenzter Vielfalt aus Mischungen beinahe aller Elemente des Periodensystems herstellen. Einzige Voraussetzung ist, dass sich die Bestandteile gemeinsam schmelzen lassen und die Schmelze danach schnell genug abgekühlt wird. Dabei erstarrt das flüssige Gemisch und bildet ein Glas. „Glas ist also eine einge­frorene Flüssigkeit“, veran­schaulicht Lothar Wondraczek von der Universität Jena. So groß die Vielfalt in der Zusammensetzung, so vielfältig sind auch die Eigenschaften der resul­tierenden Gläser.

Abb.: Die Entwicklung neuer Glaswerk­stoffe ist bislang ein zeit- und...
Abb.: Die Entwicklung neuer Glaswerk­stoffe ist bislang ein zeit- und energie­aufwändiger Prozess. (Bild: J. Meyer, U. Jena)

Für die Material­wissenschaft ist das jedoch ein Problem, denn anders als kristalline Materialien besitzt Glas keine geordnete innere Struktur. Stattdessen bleiben seine atomaren Bestandteile nach dem Abkühlen mehr oder weniger so angeordnet, wie sie auch im flüssigen Zustand vorlagen. In dieser korrelierten Unordnung gibt es zwar grundsätzlich keine wiederkehrende, perio­dische Anordnung der Atome, aber doch eben auch keine reine Zufällig­keit. Stattdessen existieren bestimmte Bauregeln und Zusammen­hänge, die sich aus der Interaktion der Bestandteile miteinander ergeben.

„Um chemische Rezepte für Gläser mit angepassten Eigenschaften zu finden, sind oftmals langwierige und experimentell aufwendige Optimierungs­prozesse notwendig“, sagt Wondraczek. „Eine besondere Heraus­forderung ist es also, genau diejenigen Bauregeln und chemischen Zusammenhänge zu finden, die für eine bestimmte Eigenschaft oder Eigenschafts­kombination von Bedeutung sind.“ So kann das Zusammenspiel bestimmter chemischer Komponenten zum Beispiel zur Verbesserung der mechanischen Festigkeit führen. Soll das Glas aber beispielsweise für Batterie­anwendungen auch eine festgelegte Ionen­leitfähigkeit aufweisen, könnten gänzlich andere chemische Zusammenhänge relevant sein. Aktuell haben die Forschenden um Lothar Wondraczek nun ein Verfahren vorgestellt, welches die Suche nach solchen korrelierten Abhängig­keiten zukünftig deutlich schneller und effizienter machen kann. Sie erhoffen sich davon neue Wege zu Glaswerk­stoffen mit optimierten Eigen­schaften.

Die den Eigenschaften zugrunde­liegenden struktur-chemischen Zusammenhänge werden als „Gene“ bezeichnet; die Gesamtheit aller Eigenschaften eines Werkstoffs ergibt sich demnach aus seinem „Genom“. Exemplarisch haben sich die Jenaer Forschenden die Leit­fähigkeit für Natriumionen zum Ziel gesetzt. Für diese soll in polyionischen Gläsern ergründet werden, welche Kombinationen chemischer Komponenten ursächlich für die praktisch erreichbare Leitfähigkeit sind. Solche ionen­leitenden Gläser können zum Beispiel in Festkörper­batterien Anwendung finden. „Zunächst benötigen wir dafür einen ausreichend großen und verlässlichen Satz aus experi­mentellen Daten, welchen wir dann mit Methoden der Genomanalyse untersuchen können“, sagt Zhiwen Pan.

Das untersuchte polyionische Glas besteht aus einer Kombination von Oxiden, Fluoriden, Sulfaten, Phosphaten und Chloriden. Die beobachtbaren Material­eigenschaften ergeben sich aus Interaktionen dieser Vielzahl an chemischen Komponenten. Aufgrund der Komplexität sind Aussagen zur Struktur und räumlichen Anordnung der Grundelemente jedoch nur sehr begrenzt möglich, so dass resultierende Eigenschaften kaum vorher­sagbar sind. Statt aufwendiger Laborversuche können optimale Zusammen­setzungen nun mithilfe analytischer Modelle identifiziert werden. „Wir konnten außerdem zeigen, dass die gefundenen „Gene“ nun sehr gut zu dem Wenigen passen, was wir aus spektro­skopischen Unter­suchungen über die Struktur dieser Gläser wissen“, sagt Wondraczek.

U. Jena / JOL

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