Beschleunigte Monte-Carlo-Simulationen
Neuer Algorithmus verkürzt die Rechenzeit für Einblicke in Phasenübergänge drastisch.
Forschende der Universität Leipzig haben eine äußerst effiziente Methode zur Untersuchung von bislang sehr komplexen Systemen mit langreichweitigen Wechselwirkungen entwickelt. Diese Systeme können Gase oder auch feste Materialien wie etwa Magnete sein, deren Atome nicht nur mit ihren Nachbarn, sondern viel weitreichender wechselwirken. Die Forschenden um Wolfhard Janke nutzen dafür Monte-Carlo-Computersimulationen. Bei diesem Verfahren aus der Stochastik werden zufällige Systemzustände generiert, aus denen sich die gewünschten Eigenschaften des Systems ermitteln lassen. Auf diese Weise erlauben Monte-Carlo-Simulationen tiefgehende Einblicke in die Physik von Phasenübergängen. Die Forschenden fanden einen neuen Algorithmus, mit dem diese Simulationen in wenigen Tagen durchgeführt werden können, für die man mit herkömmlichen Methoden Jahrhunderte benötigt hätte.
Ein physikalisches System ist im Gleichgewicht, wenn sich seine makroskopischen Eigenschaften wie Druck oder Temperatur zeitlich nicht ändern. Von Nichtgleichgewichtsprozessen spricht man, wenn das System durch Umweltveränderungen aus dem Gleichgewicht geraten ist und dann einen neuen Gleichgewichtszustand anstrebt. „Diese Prozesse rücken immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit statistischer Physiker weltweit. Während für Systeme mit kurzreichweitigen Interaktionen eine Vielzahl von Studien zahlreiche Aspekte von Nichtgleichgewichtsprozessen beleuchtet hat, steckt das Verständnis für die Rolle von langreichweitigen Wechselwirkungen in solchen Prozessen noch in seinen Kinderschuhen“, erklärt Janke.
Für kurzreichweitige Systeme, deren Komponenten nur mit ihren Nachbarn in kurzer Entfernung wechselwirken, wächst die Anzahl der Operationen, die für die Berechnung der Entwicklung des gesamten Systems über einen Zeitschritt hinweg benötigt werden, linear in der Anzahl der enthaltenen Komponenten. Bei langreichweitig wechselwirkenden Systemen muss für jede Komponente die Wechselwirkung mit allen anderen auch weit entfernten Komponenten mit einbezogen werden, was einen quadratischen Anstieg der Laufzeit mit wachsender Systemgröße mit sich bringt. Den Forschenden um Janke ist es nun gelungen, diese algorithmische Komplexität mithilfe einer Umstrukturierung des Algorithmus und einer geschickten Kombination von geeigneten Datenstrukturen zu reduzieren. Dies spiegelt sich bei großen Systemen in einer massiven Reduzierung der benötigten Computerzeit wider und ermöglicht dadurch die Untersuchung vollkommen neuer Fragestellungen.
Im Zentrum der Arbeit steht die effiziente Anwendbarkeit der neuen Methode auf Nichtgleichgewichtsprozesse in Systemen mit langreichweitigen Wechselwirkungen gezeigt. Ein Beispiel sind spontane Ordnungsprozesse in einem anfangs ungeordneten heißen System, in dem nach einem abrupten Temperaturabfall geordnete Bereiche mit der Zeit anwachsen bis ein geordneter Gleichgewichtszustand erreicht ist. Aus unserem Alltag kennen wir hierfür die Tröpfchenbildung nach einer heißen Dusche an einem kalten Fenster, wobei der heiße Dampf abrupt abkühlt und sich wachsende Tropfen bilden. Ein verwandtes Beispiel sind Prozesse mit kontrollierten langsameren Abkühlraten, bei denen vor allem die Ausbildung von Wirbeln und anderen Strukturen von Interesse ist, die sowohl in der Kosmologie als auch in der Festkörperphysik eine wichtige Rolle spielen.
Darüber hinaus haben die Forschenden den Algorithmus auch schon erfolgreich auf den Prozess der Phasenseparation angewendet, bei dem sich zum Beispiel zwei Teilchensorten spontan entmischen. Derartige Nichtgleichgewichtsprozesse spielen eine fundamentale Rolle sowohl bei industriellen Anwendungen als auch für die Funktion von Zellen in biologischen Systemen. Diese Beispiele verdeutlichen das breite Spektrum von Anwendungsszenarien, die sich durch diesen methodischen Fortschritt in der Grundlagenforschung und bei praktischen Anwendungen bieten.
Solche Computersimulationen bilden neben Experimenten und analytischen Ansätzen den dritten Grundpfeiler der modernen Physik. Eine Vielzahl physikalischer Fragestellungen lässt sich nur näherungsweise oder gar nicht mit analytischen Methoden angehen. Bei einer experimentellen Herangehensweise sind gewisse Fragestellungen oft schwer zugänglich und setzen komplexe, teils jahrelang dauernde Versuchsaufbauten voraus. Computersimulationen haben deshalb in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich zum Verständnis eines breiten Spektrums von physikalischen Systemen beigetragen.
U. Leipzig / JOL