16.06.2017

Bieb-Bieb: Schrödingers Katze an Erde

Einem chinesischen Experimental­satelliten gelingt der Aufbau eines Quanten­kanals mit zwei Boden­stationen.

Das Vertrauen in die Daten­sicherheit der globalen Kommu­nikations­netze hat in den letzten Jahre einige Dämpfer hinnehmen müssen. Die neue Techno­logie der Quanten­kommunikation verspricht hingegen zumindest im Prinzip völlig abhör­sicheren Daten­austausch: Denn wenn man zur Erzeugung von Quanten­schlüsseln etwa verschränkte Photonen einsetzt, entspricht jeder Versuch des Mit­lauschens nach den Gesetzen der Quanten­physik einer Messung, die den Zustand des Systems unweiger­lich beeinflusst – was die beiden Kommu­nikations­­partner misstrauisch machen sollte. Denn das quanten­physikalische No-Cloning-Theorem verbietet eine identische Kopie des ursprüng­lichen Zustands.

Abb.: Skizze des Experimentaufbaus für den Austausch von Quantenschlüsseln zwischen Satellit und Bodenstation.(Bild: J. Yin et al.)

Das Problem bei der Über­tragung von Quanten­signalen ist jedoch die unver­meidliche Streuung und Absorption von Licht­teilchen, sowohl in der Erdatmo­sphäre als auch in den besten Glasfaser­kabeln. Das No-Cloning-Theorem ermöglicht zwar vom Prinzip her erst die Quanten­krypto­graphie, aller­dings erweist es sich auch als Hemmschuh für die technische Umsetzung: Denn es verbietet die Verstärkung von Quanten­signalen, wie man es bei klassischen Signale tun würde. Selbst bei besten Bedingungen sind Quanten­signale in Materie deshalb auf Distanzen von gut 100 Kilo­metern beschränkt. Forscher um Anton Zeilinger war es 2007 gelungen, zwischen den Kanaren­inseln La Palma und Teneriffa sogar bei Tag eine Quanten­verbindung über 144 Kilometer aufzu­bauen.

Im luft­leeren Raum gelten die Entfernungs­beschränkungen jedoch nicht: Deshalb gilt die Quanten­kommunikation per Satellit als viel­versprechendste Option für ein globales Quanten­netzwerk. Forscher um Jian-Wei Pan von der Uni­versity of Science and Technology of China in Hefei haben hierfür nun einen wichtigen Durch­bruch erzielt. Mit Hilfe des Experimental­satelliten „Micius“ konnten sie Quanten­schlüssel zwischen zwei Boden­stationen austauschen, die 1203 Kilometer aus­einander liegen – fast eine Größen­ordnung über dem Experiment auf den Kanaren. Nimmt man nicht die Boden­stationen, sondern die Wegstrecke der Photonen vom Satelliten aus zum Maßstab, kommt man sogar auf bis zu 2400 Kilometer.

Der Quanten­satellit Micius – benannt nach dem lati­nisierten Namen des antiken chine­sischen Philosophen Mozi – ist erst vor knapp einem Jahr ins All gestartet. An Bord trägt er eine Quelle für verschränkte Photonen­paare, die auf einem Sagnac-Inter­ferometer basiert. Dieses hoch­empfindliche Bauteil mussten die Forscher aufwändig für die hohen Bean­spruchungen im Weltraum konstruieren. Insbesondere die starken Vibra­tionen beim Raketen­start und die starken Temperatur­unterschiede zwischen der Tag- und der Nachtseite der Erde stellen für quanten­optische Präzisions­instrumente eine außer­ordentliche Beanspruchung dar. „Wir konnten hierzu keine Standard-Komponenten nutzen, sondern mussten viel Arbeit in alle Details stecken, um den ganzen Aufbau weltraum­tauglich zu machen“, erklärt Jian-Wei Pan.

Das Quanten­signal über­mittelte Micius dann über zwei Spiegel­systeme an die 1,2 und 1,8 Meter durch­messenden Spiegel der Boden­stationen. Auch das Tracking per Laser und die exakte Ausrichtung der Spiegel stellte hohe Anfor­derungen an die Technik. Denn Micius fliegt in einem Orbit von rund 500 Kilo­metern Höhe und hat dadurch nur für jeweils 275 Sekunden Kontakt zu beiden Boden­stationen. Das reichte aber aus, um das Experiment wie geplant durchzu­führen. Die ver­schränkten Photonen kamen an den Boden­stationen an, wobei sich das Rauschen in Grenzen hielt. Die Güte ihres Signals über­prüften die Forscher mit Hilfe von Bell-Tests, die die quantentypische Nichtlokalität der verschränkten Photonen­paare erwartungs­gemäß belegten. In Zukunft werden mit solchen Satelliten-Experi­menten sogar Langstrecken­tests der Bellschen Ungleichung möglich, mit denen sich die Vorraus­setzungen der Quanten­physik auf Herz und Nieren prüfen lassen.

Zwar lassen sich Langstrecken-Quanten­netzwerke mit Hilfe von Zwischen­stationen auch auf der Erde einrichten. Die chine­sische Regierung hat etwa zwischen der Hauptstadt Peking und der Finanz­metropole Shanghai bereits eine rund 2000 Kilometer lange Strecke in Betrieb genommen. Da ein Quanten­signal solche Strecken in einem Glas­faserkabel aber nicht überstehen kann, beinhaltet das Netzwerk siebzig Zwischen­stationen. Bei einem globalen Netzwerk müsste man jeder dieser Stationen Vertrauen schenken können.

Das spricht zwar für ein Satel­liten-Netzwerk – allerdings sind die technischen Hürden hierfür noch hoch: Die Datenrate beim chine­sischen Experiment betrug nur rund ein Qantenbit pro Sekunde. Zudem befinden sich die Boden­stationen im Gebirge, um die dicken unteren Luftschichten und die Licht- und Luft­verschutzung durch Großstädte zu vermeiden. Die Über­tragung klappte auch nur bei Nacht: Obwohl Micius mehrmals täglich über China hinweg zieht, überstrahlt die Sonne alle Quantensignale so stark, dass die Daten­übertragung unmöglich war. Nur bei völliger Dunkelheit nach ein Uhr nachts funk­tionierten die Systeme. Auch dann noch arbeiteten die Forscher mit sehr schmal­bandigen Filtern, um das Streulicht des Mondes herauszufiltern.

Die chinesischen Wissenschaftler rechnen nach dieser eindrucks­vollen Demon­stration der Machbar­keit aber schon in den nächsten Jahren mit deutlichen Fort­schritten. „Wir erwarten, dass sich die Datenrate in den kommenden fünf Jahren um den Faktor 1000 steigern lassen wird“, so Pan. Für die Zukunft planen die Wissen­schaftler sogar eine Quanten-Inter­kontinental­verbindung von China nach Österreich, wo Pan eine Zeit lang geforscht hat.

Dirk Eidemüller

JOL

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