Biegsames Graphen erhöht Reibung
Computersimulationen werfen Licht auf ein ungewöhnliches Friktionsverhalten.
Graphen, die zweidimensionale Form des Kohlenstoffs, hat bemerkenswerte elektrische und mechanische Eigenschaften, die sich praktisch nutzen lassen. Doch auch sein experimentell untersuchtes Reibungsverhalten ist ungewöhnlich und wirft Fragen auf. Mit atomaren Simulationen haben Forscher aus den USA, China und Deutschland untersucht, welche molekularen Vorgänge dahinter stecken.
Abb.: Einschichtiges Graphen, über das eine Siliziumspitze gleitet. Die verschiedenen Farben zeigen die unterschiedlichen Werte der Reibungskraft in der Kontaktfläche. (Bild: S. Li et al. / NPG)
Das aus zahllosen Graphenlagen bestehende Graphit ist ein bewährtes Schmiermittel, mit dem man die Reibungskraft zwischen aufeinander gleitenden Oberflächen erheblich vermindern kann. Verringert man jedoch die Zahl der Graphenlagen auf einige wenige und schließlich sogar auf eine einzelne, so erhöht sich die Reibung immer mehr. Das hatten Experimente gezeigt, bei denen die Spitze eines Rasterkraftmikroskops über eine Graphenschicht gezogen wurde, die auf einer glatten Unterlage haftete.
Dabei hatte man beobachtet, dass die auf die Spitze wirkende Reibungskraft immer wieder ruckartig zu- und abnahm. Dieses Stick-Slip-Verhalten beruhte darauf, dass die Spitze bei ihrer langsamen Bewegung über die periodisch strukturierte Oberfläche von einem Minimum der potentiellen Energie ins nächste sprang, sobald die auf sie wirkende Zugkraft groß genug geworden war. Dabei wurde Bewegungsenergie irreversibel in Reibungswärme umgewandelt.
Mittelte man das zeitliche Verhalten der Reibungskraft über diese Stick-Slip-Oszillationen, so konnte man beobachten, dass die Kraft zunächst zunahm, um nach einigen Nanometern Wegstrecke auf einen konstanten Wert einzuschwenken. Offenbar benötigten die Spitze und die Graphenschicht eine gewisse Zeit, bevor sie sich auf einander eingestellt hatten und sich dann besonders stark anzogen.
Die dahinter stehenden molekularen Vorgänge haben jetzt Forscher um Robert Carpick von der University of Pennsylvania und Ju Li vom MIT mit aufwendigen atomaren Simulationen untersucht. Sie simulierten, wie eine kristalline Siliziumspitze (Krümmungsradius 16,3 nm) mit einer Kraft von 0,8 nN auf eine Unterlage gedrückt und mit 2 m/s über sie gezogen wurde. Die Unterlage bestand aus amorphem Silizium, das von einer Graphenmonolage oder zwei bis vier perfekt orientierte Graphenlagen bedeckt war.
Abb.: Die Kräfteverteilung in einer Graphenmonolage zu den vier markierten Zeitpunkten (a bis d): abstoßende Kräfte, die die Spitze voran treiben (rot), anziehende Kräfte, die sie hemmen (blau). Es bilden sich immer mehr „blaue“ Pinningzentren heraus. (Bild: S. Li et al. / NPG)
Sobald die Spitze die Graphenlage berührte, änderte sich deren Topographie. Die Adhäsion zwischen Spitze und Graphen führte zu einer Kräuselung der obersten Graphenlage in einem Bereich, der die Spitze ringförmig umgab. Wurde die Spitze bewegt, so zeigte die Reibungskraft das typische Stick-Slip-Verhalten. Außerdem nahm die Kraft im zeitlichen Mittel zunächst zu, ehe sie nach etwa 1,5 nm konstant blieb. Dabei fiel die Zunahme umso geringer aus, je mehr Graphenlagen das Siliziumsubstrat bedeckten.
Ein Vergleich mit früheren Experimenten zeigte, dass die Simulationen verlässliche Resultate lieferten. Doch darüber hinaus gestatteten sie Einblicke in die molekularen Vorgänge, die sich zwischen Spitze und Graphenschicht abspielten. Dazu analysierten die Forscher die Kräfte, die zwischen den einzelnen Atomen und der Spitze zu den Zeitpunkten wirkten, wenn die Spitze in einem Stick-Slip-Zyklus die maximale Reibungskraft verspürte. Wie sich zeigte, stellte sich erst nach drei Zyklen eine weitgehend unveränderliche Kraftverteilung ein.
Die auftretende Reibungskraft wurde so groß, weil sehr viele C-Atome der Graphenschicht mit den Si-Atomen der Spitze in Kontakt waren und außerdem besonders starke Anziehungskräfte zwischen den C- und Si-Atomen herrschten. Möglich wurde dies durch die Flexibilität der obersten Graphenlage, die sich auf die Spitze so einstellte, dass die atomaren Anziehungskräfte maximiert wurden. Doch je mehr Lagen die Graphenschicht enthielt, desto stärker war die Beweglichkeit der obersten Lage eingeschränkt, da sie von den tieferen Lagen stark angezogen wurde. Deshalb trat für zunehmend dickere Graphenschichten eine immer geringere Reibungskraft auf, und auch das „Einstellverhalten“ der Reibung war immer schwächer ausgeprägt.
Eine Monolage Graphen sollte demnach die stärkste Reibung aufweisen. Dies gilt jedoch nur, wenn die Anziehungskraft zwischen der Unterlage und dem Graphen nicht so stark ist, dass sie der Monolage keine Beweglichkeit mehr lässt. Die Reibung einer Monolage könnte man auch dadurch verändern, dass man sie vorab durch seitliches Zusammenschieben zerknittert, wie entsprechende Simulationen gezeigt haben. Demnach war der Kontakt zwischen der Spitze und der Monolage umso stärker, je stärker diese zerknittert war, was zu einer höheren Reibungskraft führte. Hier eröffnen sich neue Möglichkeiten, Reibungskräfte zu kontrollieren.
Rainer Scharf
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