Bindungswilliges Edelgas
Auseinanderbrechendes Heliumdimer erzeugt Interferenzwellen.
Wer sich in die Welt der Quantenphysik begibt, muss sich auf Einiges gefasst machen: Edelgase gehen Bindungen ein, Atome verhalten sich gleichzeitig wie Teilchen und wie Wellen, und Ereignisse, die eigentlich einander ausschließen, lassen sich gleichzeitig beobachten. Ein internationales Wissenschaftlerteam der Goethe-Universität Frankfurt und der University of Oklahoma hat nun erstmals Quanteneffekte an einem auseinanderbrechenden Heliumdimer gefilmt. Der Film zeigt die Überlagerung von Wellen zweier Ereignisse, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit gleichzeitig auftreten: Der Fortbestand und das Auseinanderbrechen des Heliumdimers. Die Methode könnte künftig erlauben, das Entstehen und den Zerfall quantenphysikalischer Efimov-Systeme experimentell zu verfolgen.
Reinhard Dörner und sein Team beschäftigen sich in der Quantenwelt mit Molekülen, die es klassischerweise gar nicht geben dürfte: Zweierverbindungen von Helium, also Heliumdimere. Als Edelgas geht Helium eigentlich keine Verbindungen ein. Wenn man das Gas jedoch auf nur zehn Grad über dem absoluten Nullpunkt abkühlt und dann durch eine kleine Düse in eine Vakuumkammer strömen lässt, wodurch es noch kälter wird, dann bilden sich – ganz selten – solche Heliumdimere. Es sind sicher die am schwächsten gebundenen Moleküle im Universum, und entsprechend weit sind die beiden Atome im Molekül voneinander entfernt. Während eine chemische Bindung gewöhnlicherweise rund ein Ångström misst, sind es beim Heliumdimer im Mittel mehr als fünfzig Mal so viel, 52 Ångström.
Solche Heliumdimere haben die Frankfurter Wissenschaftler mit einem extrem starken Laserblitz bestrahlt und dadurch die Bindung zwischen den beiden Heliumatomen minimal verdreht – was ausreichte, um die beiden Atome auseinanderfliegen zu lassen. Daraufhin konnten die Wissenschaftler das wegfliegende Heliumatom erstmals als Welle sehen und in einem Film aufzeichnen.
Dass die Forscher das wegfliegende Heliumatom im Frankfurter Laser-Experiment als eine Welle überhaupt beobachten und filmen konnten, lag daran, dass das Heliumatom nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wegflog: Mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit war es noch an seinen zweiten Heliumpartner gebunden, mit zweiprozentiger Wahrscheinlichkeit flog es weg. Diese beiden Heliumatom-Wellen überlagerten sich, diese Interferenz ließ sich messen.
Die Vermessung solcher „Quantenwellen“ lässt sich ausdehnen auf Quantensysteme mit mehreren Partnern wie das Heliumtrimer aus drei Helium-Atomen. Das Heliumtrimer ist interessant, da es einen exotischen Efimovzustand bilden kann, sagt Maksim Kunitski, Erstautor der Studie: „Solche Drei-Teilchen-Systeme wurden 1970 durch den russischen Theoretiker Vitaly Efimov vorhergesagt und zunächst an Cäsiumatomen nachgewiesen. Vor fünf Jahren haben wir erstmals den Efimovzustand im Heliumtrimer entdeckt. Unsere jetzt entwickelte Methode der Laserpuls-Bestrahlung könnte es uns in Zukunft erlauben, die Entstehung und den Zerfall von Efimov-Systemen zu beobachten und so quantenphysikalische Systeme besser verstehen zu können, die experimentell nur schwer zugänglich sind.“
U. Frankfurt / DE