Bismut gibt den Widerstand auf
Bei extrem tiefen Temperaturen geht auch das ladungsträgerarme Bismut in einen supraleitenden Zustand über.
Bismut ist ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Element. Lange Zeit hielt man es für das schwerste stabile Element. Wie sich erst in den letzten Jahren herausstellte, hat das Isotop Bismut-209, aus dem natürliches Bismut praktisch ausschließlich besteht, jedoch eine Halbwertszeit von knapp 2 × 1019 Jahren. Den Ehrenplatz als schwerstes stabiles Isotop nimmt seitdem Blei-208 ein. Aber auch in anderer Hinsicht ist Bismut für Überraschungen gut: Bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert suchen Wissenschaftler nach Hinweisen, ob Bismut bei tiefen Temperaturen supraleitend wird. Bislang sträubte es sich jedoch gegen all diese Versuche.
Abb.: Der Bismut-Einkristall wird über einen Stab aus Silber an eine kalte Kupferplatte gekoppelt. (Bild: O. Prakash et al. / Science)
Forschern des Tata Institute of Fundamental Research im indischen Mumbai ist genau dieser Nachweis nun gelungen. Vermutet wurde es zwar schon lange, denn viele andere elementare Metalle wie Aluminium, Niob oder das im Periodensystem benachbarte Blei werden bei Temperaturen von einigen Kelvin supraleitend. Von Bismut war bislang nur bekannt, dass es bis hinunter zu rund zehn Millikelvin seine normale Leitfähigkeit behält – eine Temperatur, bei der beispielsweise bei Wolfram die Sprungtemperatur zur Supraleitfähigkeit liegt.
Bismut besitzt nun eine ganze Reihe besonderer Eigenschaften, die es für die Festkörperforschung interessant machen. So hat es nicht nur eine rhomboedrische Kristallstruktur, sondern auch eine niedrige Fermi-Energie, die mit einer hohen mittleren elektronischen Weglänge einhergeht. Normalerweise wird diese Weglänge durch Wechselwirkungen mit den Gitterschwingungen begrenzt. Bei Bismut sorgen jedoch Erhaltungssätze dafür, dass langsame Elektronen nur mit den langwelligsten Gitterschwingungen in Wechselwirkung treten, so dass die mittlere freie Weglänge bei 300 Kelvin rund zwei Mikrometer beträgt.
Bei tiefen Temperaturen, wenn die Gitterschwingungen keine große Rolle mehr spielen, wird die mittlere freie Weglänge der Elektronen üblicherweise hauptsächlich durch Streuung an Defekten bestimmt. Bismut spielt auch hier eine Sonderrolle: Aufgrund seiner großen Fermi-Wellenlänge von 10 bis 50 Nanometern streuen die Ladungsträger nicht an Punktdefekten oder atomaren Verunreinigungen. Stattdessen sind hier Versetzungen im Kristallgitter der begrenzende Faktor. Zudem hat Bismut eine extrem geringe Ladungsträgerdichte: Auf rund 100.000 Atome kommt nur ein einziges Elektron-Loch-Paar. Einige dieser Eigenschaften sprechen nun für eine Supraleitfähigkeit. Insbesondere die geringe Ladungsträgerdichte macht Bismut aber zu einem unwahrscheinlichen Kandidaten für Supraleitung.
Die Wissenschaftler aus Mumbai hatten außerdem mit einigen experimentellen Schwierigkeiten zu kämpfen. So besitzen Materialien, die erst bei sehr tiefen Temperaturen supraleitend werden, auch eine sehr geringe kritische magnetische Feldstärken, bei denen die Supraleitung wieder zusammenbricht. Um also zu verhindern, dass externe Magnetfelder eine mögliche Sprungtemperatur noch weiter nach unten drücken, mussten die Forscher ihren Versuchsaufbau unter anderem mit Magnetschilden aus supraleitendem Blei abschirmen. Noch dazu können atomare Verunreinigungen im Bismut zu unerwünschten magnetischen Effekten führen und ebenfalls die Supraleitung erschweren. Der zu untersuchenden Bismut-Kristall musste also extrem rein sein.
Die Bismut-Kristalle züchteten die Forscher mit gängigen Verfahren. Hierzu packten sie hochreine Bismutbarren unter Argon-Schutzgas in Röhrchen aus Quarzglas. Diese erhitzten sie langsam auf 600 Grad Celsius und schmolzen das Bismut bei dieser Temperatur über zwölf Stunden. Langsame Abkühlung über mehrere Stunden und anschließendes Schneiden ergab schließlich hochreine Bismut-Einkristalle mit zwei Millimetern Dicke und einer Länge von zwei Zentimetern. Wie Messungen anhand von Laue-Beugung ergaben, besaß der gesamte Kristall eine durchgängige Ordnung.
Abb.: Der Abfall der Suszeptibilität bei beiden Materialproben s1 und s2 erfolgt bei der Sprungtemperatur von 0,53 Millikelvin. (Bild: O. Prakash et al. / Science)
Die Sprungtemperatur maßen die Forscher anhand von Magnetisierungsmessungen mit Hilfe eines Gleichstrom-Squids aus. Unterhalb von 0,53 Millikelvin zeigte sich plötzlich Supraleitung. Damit ist Bismut nun nicht nur einer der beiden Supraleiter mit der geringsten bekannten Ladungsträgerdichte, sondern auch einer, der sich einer theoretischen Erklärungen noch widersetzt. Denn wie bei diesem an Überraschungen und Herausforderungen reichen Element kaum anders zu erwarten, ist bislang nicht geklärt, auf welche Weise seine Supraleitfähigkeit überhaupt zustande kommt.
Die gängige Bardeen-Cooper-Schrieffer-Theorie zur Supraleitung von Metallen scheint nicht so recht zu Bismut zu passen und liefert um Größenordnungen niedrigere Werte als die nun gemessenen. Die an Tälern reiche Bandstruktur von Bismut macht eine Anwendung dieser Theorie anscheinend unmöglich. Wie die Wissenschaftler aus Mumbai betonen, werden weitere theoretische Arbeiten erforderlich sein, um die Supraleitfähigkeit dieses ungewöhnlichen Metalls zu erklären.
Dirk Eidemüller
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