Blitzschneller Atomtransport
Atomare Qubits wurden in Mikrosekunden um Zehntelmillimeter bewegt.
Bei der Verarbeitung von Quanteninformationen muss alles sehr schnell gehen. Atomare Qubits, die im Quantenzustand eines Atoms gespeichert sind, zerfallen schon in Sekundenbruchteilen. In dieser Zeit möchte man an ihnen tausende von Operationen durchführen, wozu die Atome zwischen verschiedenen Prozessoren hin und her bewegt werden müssen. Solch einen blitzschnellen Atomtransport haben jetzt zwei Forschergruppen in Deutschland und in den USA zustande gebracht.
Abb.: Das harmonische Potential der Paul-Falle, in dem das Ion gefangen ist, kann man hin und her bewegen, indem man die elektrischen Potentiale der Elektrodensegmente der Falle verändert. Die blauen Pfeile bezeichnen die Laserstrahlen, mit denen das Ion zum Leuchten gebracht wird. (Bild: A. Walther et al., PRL)
Sowohl Ryan Bowler und seine Kollegen vom NIST in Boulder, Colorado, als auch die Forscher um Ulrich Poschinger und Ferdinand Schmidt-Kaler von der Universität Mainz haben einzelne Ionen in einer Paul-Falle innerhalb von einigen Mikrosekunden über mehrere Zehntelmillimeter bewegt. Die anfänglich ruhenden Atome waren nach einer solchen gewaltsamen Verschiebung wieder zur Ruhe gekommen, und die in ihrem Quantenzustand gespeicherte Information erhalten geblieben.
Schon bei früheren Experimenten hatte man Atome über relativ große Distanzen verschoben. Dafür benötigte man allerdings einige Millisekunden, da man möglichst behutsam vorging und das harmonische Potential, in dem das Atom gefangen war, sehr langsam und adiabatisch änderte. Die für die Verschiebung benötigte Zeit war dabei viel größer als die Schwingungsperiode des Atoms im Potential. So stellte man sicher, dass das Atom während der Verschiebung stets im Grundzustand des Potentials blieb. Für einen schnellen Transport eines atomaren Qubits von einem Quantenprozessor zum anderen war die adiabatische Verschiebung jedoch zu langsam.
Verschiebt man die Atome schneller, so werden die Verschiebungsdauer und die Schwingungsperiode vergleichbar. Bei dieser diabatischen Verschiebung ändert sich normalerweise der Zustand des Atoms im harmonischen Fallenpotential, sodass es zum Beispiel den anfänglichen Grundzustand verlässt. Theoretische Untersuchungen hatten indes gezeigt, dass das Atom zum Abschluss einer diabatischen Verschiebung wieder im Ausgangszustand sein kann, wenn man die Verschiebung in geeigneter Weise zeitlich moduliert.
Sowohl die NIST-Forscher als auch ihre Kollegen aus Mainz haben einzelne ultrakalte Ionen (Beryllium-9 bzw. Kalzium-40) in einer linearen Paul-Falle diabatisch verschoben. Die Elektroden der Fallen bestanden aus mehreren ca. 200 Mikrometer langen Segmenten, deren elektrische Potentiale sehr schnell und unabhängig voneinander verändert werden konnten. Auf diese Weise ließ sich das Minimum des jeweiligen Fallenpotentials in gewünschter Weise umherbewegen.
Zunächst verschoben die Mainzer Forscher ihr Kalziumion innerhalb von 11 Mikrosekunden um 280 Mikrometer und brachten es anschließend wieder zum Ausgangsort zurück. Obwohl das Ion, das anfangs nahezu im Grundzustand des Potentials war (mittlere Phononenzahl n = 0,1), bei dieser diabatischen Verschiebung zunächst bis zu 100 Schwingungsquanten aufnahm, war es nach Rückkehr zum Ausgangsort wieder nahezu im Grundzustand (n = 0,1). Die vom Ion dabei zurückgelegte Distanz war deutlich größer als sein Wellenpaket.
Den Schwingungszustand des Ions bestimmten die Forscher, indem sie es mit Laserlicht bestrahlten und die Fluoreszenz maßen. Dazu hatten sie das Ion in einen bestimmten Hyperfeinzustand (↑) gebracht, aus dem es bei gleichzeitiger Änderung seines Schwingungszustandes in einen anderen Hyperfeinzustand (↓) übergehen konnte. Aus der Intensität des dabei abgegebenen Fluoreszenzlichts ermittelten sie die Besetzungswahrscheinlichkeit von (↑) und daraus die mittlere Phononenzahl.
Sodann verschoben die Mainzer Forscher das Ion innerhalb von 3,6 Mikrosekunden um 280 Mikrometer, wobei es erneut eine große Zahl von Phononen aufnahm. Diesmal brachten sie das Ion zur Ruhe, indem sie ihm durch eine gepulste Änderung des Fallenpotentials einen kurzen, gezielten Stoß versetzten, der ihm Bewegungsenergie entzog. Schließlich zeigten sie, dass die Quanteninformation, die im verschränkten Hyperfein- und Schwingungszustand (↑, n = 0) + exp(iφ)(↓, n = 1) des Ions gespeichert war, dessen schnelle Verschiebung mit anschließender Rückkehr zum Ausgangsort überlebte.
Auch den NIST-Forschern gelang es, ein Ion im Schwingungsgrundzustand schnell zu verschieben, und zwar innerhalb von 8 Mikrosekunden um 370 Mikrometer. Sie konnten ebenfalls zeigen, dass die vom Ion gespeicherte Quanteninformation eine Verschiebung auf einem Rundkurs ebenso gut überstand wie wenn das Ion gar nicht bewegt wurde. Darüber hinaus konnten die Forscher bei Experimenten mit bis zu neun Ionen in der Paul-Falle demonstrieren, dass sich die Teilchen mit Hilfe eines Doppelmuldenpotentials in zwei Gruppen mit gewünschter Teilchenzahl aufteilen lassen. Das dauerte allerdings einige 100 Mikrosekunden.
Die schnelle diabatische Verschiebung von Ionen, die sich in einem vorgegebenen Quantenzustand befinden, eröffnet die Möglichkeit, Qubits innerhalb von Mikrosekunden in einem Quantencomputer von einem Prozessor zum anderen zu bewegen. Dadurch bliebe wertvolle Zeit für die eigentlichen Operationen übrig, bei denen die Qubits gezielt verändert oder miteinander verschränkt werden.
Rainer Scharf
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