20.10.2005

Brownsche Bewegung mit kleinen Fehlern

Mikroskopisch kleine Teilchen bewegen sich bisweilen anders als von Einstein vermutet.




Mikroskopisch kleine Teilchen bewegen sich bisweilen anders als von Einstein vermutet.

Die Brownsche Bewegung von mikroskopischen Partikeln, die in einer Flüssigkeit schwimmen, ermöglicht einen indirekten Blick auf die ungeordnete Wärmebewegung der Flüssigkeitsmoleküle. Das pausenlose Trommelfeuer, dem die Brownschen Teilchen durch die Kollisionen mit den Molekülen ausgesetzt sind, führt dazu, dass sie sich regellos umher bewegen. Ein internationales Forscherteam hat jetzt die Bewegung von einzelnen Brownschen Teilchen sehr genau verfolgt und dabei Abweichungen von den Vorhersagen der klassischen Theorie beobachtet.

Die klassische Theorie der Brownschen Bewegung, die auf Einstein, Smoluchowski und Langevin zurückgeht, macht zwei vereinfachende Annahmen: Erstens erhält ein Brownsches Teilchen zufällige und unabhängige Stöße von den Flüssigkeitsmolekülen. Zweitens sind die Reibungskräfte, die die Bewegung des Teilchens in der Flüssigkeit abbremsen, proportional zur momentanen Teilchengeschwindigkeit.

Die Vorhersagen der klassischen Theorie stimmen recht gut mit dem Experiment überein. Beobachtet man die Bewegung der Brownschen Teilchen in Zeitabständen von Millisekunden und darüber, so bewegen sie sich diffusiv. Dabei nimmt das mittlere Verschiebungsquadrat der Teilchenpositionen linear mit der Zeit zu: <Δx(t) 2> = 2Dt. Zwischen ihren Kollisionen mit den Molekülen bewegen sich die Brownschen Teilchen mit konstanter Geschwindigkeit. Für sehr kurze Zeitintervalle zeigen sie deshalb nichtdiffusives, ballistisches Verhalten. Dann gilt: <Δx(t) 2> ~ t 2. Die klassische Theorie sagt einen recht abrupten Übergang vom diffusiven zum nichtdiffusiven Verhalten vorher und zwar bei einer charakteristischen Zeit τ, die von der Größe der Teilchen und ihrer Dichte sowie von der Viskosität der Flüssigkeit abhängt.

Das tatsächliche Geschehen auf sehr kurzen Zeitenintervallen weicht indes klar von den Annahmen der klassischen Theorie ab. Bewegt sich ein Brownsches Teilchen durch die Flüssigkeit, so verschiebt es die Moleküle in seiner unmittelbaren Umgebung. Dies wiederum wirkt auf das Teilchen zurück, und zwar wegen der Trägheit der Moleküle mit einer bestimmten zeitlichen Verzögerung. Die Reibungskraft hängt deshalb nicht nur von der momentanen Geschwindigkeit des Teilchens ab sondern auch vom Geschwindigkeitsverlauf in der unmittelbaren Vergangenheit.

Dieser „Gedächtniseffekt“ führt dazu, dass die Korrelationen der Teilchengeschwindigkeit nicht augenblicklich sondern nur langsam zerfallen. Deshalb erfolgt der Übergang vom diffusiven zum nichtdiffusiven Verhalten wesentlich gemächlicher als von der klassischen Theorie vorhergesagt. Und es tritt neben τ noch eine weitere charakteristische Zeit auf, die u. a. von der Dichte der Flüssigkeit abhängt. Computersimulationen und Experimente mit Kolloiden ergaben erste Hinweise auf die Richtigkeit der „nichtklassischen“ Theorie der Brownschen Bewegung. Eine detaillierte Überprüfung ihrer Vorhersagen stand indes noch aus. Das ist jetzt Sylvia Jeney von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne und ihren Mitarbeitern gelungen.

Die Forscher haben Suspensionen von mikrometergroßen Plastik- oder Quarzkugeln in wässriger Lösung benutzt. Mit einem Laserstrahl als optischer Pinzette haben sie einzelne Kügelchen in einem mehrere Hundert Nanometer großen Gebiet eingesperrt, in dem sie umherwandern konnten. Die vom Licht erzeugte Kraft veränderte die Brownsche Bewegung der Teilchen geringfügig, jedoch in berechenbarer Weise. Mit Hilfe des Laserlichts ließ sich die Bewegung des Teilchens verfolgen. Das Laserlicht und das vom Teilchen gestreute Licht interferierten miteinander. Das resultierende Interferenzmuster wurde mit einer Photodiode registriert und anschließend ausgewertet. Dadurch war es möglich, die Position eines einzelnen Teilchens etwa 500.000mal pro Sekunde auf etwa einen Nanometer genau zu messen.

Die Messungen ergaben sowohl für lange als auch für kurze Zeitintervalle deutliche Abweichungen vom diffusiven Verhalten <Δx(t) 2> = 2Dt. Für lange Zeitintervalle machte sich die Wirkung der optischen Pinzette bemerkbar, die das Teilchen in ein endliches Volumen einsperrte und dadurch das mittlere Verschiebungsquadrat <Δx(t) 2> beschränkte. Für kurze Zeiten von einer Mikrosekunde und darunter war <Δx(t) 2> deutlich kleiner als von der klassischen Theorie vorhergesagt. Aufgrund des erwähnten Gedächtniseffekts zeigte das Teilchen erst nach Millisekunden (!) diffusives Verhalten, während die klassische Theorie für diesen Übergang nur wenige Mikrosekunden veranschlagte.

Das nichtdiffusive Verhalten unterschiedlich großer Kügelchen, die aus demselben Material bestanden, ließ sich – wie von der nichtklassischen Theorie vorhergesagt – so skalieren, dass alle Messwerte auf einer universellen Kurve lagen. Für Kügelchen mit unterschiedlicher Dichte war dies jedoch möglich. Doch auch hier stimmten die Messergebnisse exakt mit den Vorhersagen der nichtklassischen Theorie überein.

Dank ihrer Untersuchung wissen Sylvia Jeney und ihre Mitarbeiter jetzt mit hoher Präzision, wie sich im Wasser schwimmende Brownsche Teilchen im Nanometer- und Mikrosekundenbereich verhalten. Unterliegen die Teilchen zusätzlichen Kräften und Einflüssen, etwa in einer biologischen Zelle, so modifiziert dies ihr Verhalten. Auf diese Weise kann man Brownsche Teilchen als Sonden einsetzen, die ihre molekulare Umgebung mit hoher Präzision erkunden. Hier eröffnen sich für enorme Möglichkeiten für die „Photonische Kraftmikroskopie“, für deren Entwicklung Sylvia Jeney mit dem diesjährigen Preis der Swiss Society for Optics and Microscopy (SSOM) ausgezeichnet worden ist.

Rainer Scharf

Weitere Infos:

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