Camouflage mit Mikropartikeln
Synthetisches Antireflex-Material erklärt den Tarnmechanismus von Zwergzikaden.
Vom Flugzeug bis zum Klettverschluss – die Natur dient dem Menschen als verlässliche Quelle der Inspiration für neue technische Entwicklungen. Wie eine Studie der Pennsylvania State University nun zeigt, muss dieser Prozess aber nicht immer strikt vom Vorbild Natur zur neuen technischen Errungenschaft verlaufen. Indem sie zunächst mit komplex strukturierten Mikroschichten experimentiert hat, ist die Forschergruppe um Tak-Sing Wong womöglich einem bisher unbekannten Tarnmechanismus von Insekten auf die Schliche gekommen.
Abb.: Schematische Darstellung des Herstellungsprozesses der Antireflexschicht aus synthetischen Brochosomen. (Bild: S. Yang et al. / NPG)
„Wir wussten, dass unsere synthetischen Partikel aufgrund ihrer Struktur interessante optische Eigenschaften haben könnten“, erklärt Wong. „Was wir ursprünglich nicht wussten, war, dass Zwergzikaden Beschichtungen aus ganz ähnlichen Partikeln benutzen. Das ließ uns darüber nachdenken, wie die Insekten diese Beschichtungen in der Natur einsetzen.“ Indem sie die Spur weiterverfolgten, gelang es den Forschern, eine omnidirektionale Antireflexbeschichtung nach dem Vorbild der Zwergzikaden zu entwickeln, deren Leistungsfähigkeit der moderner Beschichtungen entspricht.
Bei den natürlichen Partikeln handelt es sich um Brochosomen – hohle, kugelförmige Gebilde mit Durchmessern von typischerweise einem halben Mikrometer, deren Erscheinungsbild an C60-Fullerene erinnert. Sie entstehen in den Zellen spezieller Drüsen und sind stark hydrophob, weshalb die Insekten damit ihre Körper und Eier bedecken, um sie trocken zu halten. Obwohl Brochosomen bereits 1952 erstmals mithilfe eines Elektronenmikroskops beobachtet und beschrieben wurden, gab es bisher keinerlei experimentelle Hinweise, dass sie auch zur Tarnung dienen könnten. „Das Problem war, dass Zwergzikaden nur sehr geringe Mengen dieser Substanz produzieren und sie sehr schwer einzusammeln ist“, so Wong. „Aber wir hatten bereits größere Mengen dieser Strukturen im Labor erzeugt – genug um ihre optischen Eigenschaften zu untersuchen.“
Die Erzeugung der künstlichen Strukturen erfolgt über einen komplexen, mehrstufigen Prozess, bei dem eine Doppelschicht aus unterschiedlich großen Polystyrol-Kügelchen als Trägerstruktur dient. Zunächst entsteht mittels Spincoating eine dicht gepackte Schicht aus den größeren Kugeln mit Durchmessern von zwei Mikrometern. Nach dem Aufdampfen einer 100 Nanometer dicken Goldschicht wird darauf eine zweite Schicht mit kleineren Kugel gelegt, wobei das Verhältnis der Durchmesser der unterschiedlichen Kugeln die Geometrie der Struktur bestimmt.
Diese dient im nächsten Schritt als Elektrode für die elektrochemische Abscheidung von Silber. Nach dem anschließenden Auflösen der Polystyrol-Kügelchen bleibt eine Silberschicht zurück, die in ihrer Struktur der von dicht aneinander gepackten Brochosomen ähnelt: auf jeder der großen, kugelförmigen Erhebungen, die den einzelnen Brochosomen entsprechen, befinden sich hexagonal angeordnete Einbuchtungen an den Positionen, an denen sich zuvor die kleinen Kügelchen befunden hatten. Im Vergleich zu einer ebenen Silberoberfläche, die sich nahezu wie ein perfekter Spiegel verhält, können derartige poröse Strukturen über Anregung von Plasmonen die Reflexion von Licht unterdrücken. Wie die Forscher betonen, ist der Herstellungsprozess nicht auf Silber beschränkt, sondern funktioniert auch mit anderen Metallen oder leitfähigen Polymeren.
Da den Forschern Polystyrol-Kügelchen in verschiedensten Größen von 100 Nanometer bis 10 Mikrometer zur Verfügung standen, konnten sie damit eine Vielzahl verschiedener Geometrien mit unterschiedlichen Anzahlen von Einbuchtungen realisieren. Die Tiefe der Einbuchtungen konnten sie über die Dauer der elektrochemischen Abscheidung kontrollieren. Wie Reflexionsspektra verschiedener Strukturen für Wellenlängen von 250 bis 2000 Nanometer zeigen, existiert ein optimales Verhältnis zwischen dieser Tiefe und der Größe der kleineren Kugeln in der oberen Schicht. Unter einem Einstrahlungswinkel von 45 Grad nimmt der Reflexionsgrad dabei die minimalen Werte von 0,4 (ultraviolett), 0,2 (sichtbar) und 1,4 Prozent (nahes Infrarot) an. Die besonders starke Unterdrückung der Reflexion im sichtbaren und ultravioletten Spektrum legt die Vermutung nahe, dass natürliche Brochosomen den Zwergzikaden als Tarnung vor ihren natürlichen Feinden dienen, deren Augen auf diese Bereiche optimiert sind.
Aufgrund der Anordnung der kleinen Poren auf den größeren, kugelförmigen Erhebungen funktioniert die neuartige Antireflexbeschichtung über einen weiten Bereich von Einfallwinkeln. Für sichtbares Licht etwa beträgt der Reflexionsgrad für Winkel zwischen acht und 45 Grad weniger 0,25 und für 65 Grad immer noch weniger als 0,7 Prozent. Im nahen Infrarot ist die Reflexion mit bis zu acht Prozent zwar deutlich höher, insgesamt liegt sie den Forschern zufolge aber immer noch im Bereich moderner, synthetischer Antireflexbeschichtungen. In einem nächsten Schritt will Wong mit seinem Team versuchen, die Strukturen zu vergrößern und so für Wellenlängen im mittleren Infrarotbereich zu adaptieren.
Thomas Brandstetter
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