06.11.2017

Camouflage mit Mikropartikeln

Synthetisches Antireflex-Material erklärt den Tarn­mechanismus von Zwerg­zikaden.

Vom Flugzeug bis zum Klett­verschluss – die Natur dient dem Menschen als verläss­liche Quelle der Inspira­tion für neue technische Ent­wicklungen. Wie eine Studie der Penn­sylvania State Univer­sity nun zeigt, muss dieser Prozess aber nicht immer strikt vom Vorbild Natur zur neuen technischen Errungen­schaft verlaufen. Indem sie zunächst mit komplex struk­turierten Mikro­schichten experimentiert hat, ist die Forscher­gruppe um Tak-Sing Wong womöglich einem bisher unbekannten Tarn­mechanismus von Insekten auf die Schliche gekommen.

Abb.: Schematische Darstellung des Herstellungsprozesses der Antireflexschicht aus synthetischen Brochosomen. (Bild: S. Yang et al. / NPG)

„Wir wussten, dass unsere synthe­tischen Partikel aufgrund ihrer Struktur interes­sante optische Eigen­schaften haben könnten“, erklärt Wong. „Was wir ursprüng­lich nicht wussten, war, dass Zwerg­zikaden Beschich­tungen aus ganz ähnlichen Partikeln benutzen. Das ließ uns darüber nachdenken, wie die Insekten diese Beschichtungen in der Natur einsetzen.“ Indem sie die Spur weiter­verfolgten, gelang es den Forschern, eine omni­direk­tionale Antireflex­beschichtung nach dem Vorbild der Zwerg­zikaden zu entwickeln, deren Leistungs­fähigkeit der moderner Beschich­tungen entspricht.

Bei den natür­lichen Partikeln handelt es sich um Brocho­somen – hohle, kugelförmige Gebilde mit Durch­messern von typischer­weise einem halben Mikro­meter, deren Erscheinungs­bild an C60-Fullerene erinnert. Sie entstehen in den Zellen spe­zieller Drüsen und sind stark hydrophob, weshalb die Insekten damit ihre Körper und Eier bedecken, um sie trocken zu halten. Obwohl Brocho­somen bereits 1952 erstmals mithilfe eines Elektronen­mikroskops beobachtet und beschrieben wurden, gab es bisher keinerlei experimen­telle Hinweise, dass sie auch zur Tarnung dienen könnten. „Das Problem war, dass Zwerg­zikaden nur sehr geringe Mengen dieser Substanz produ­zieren und sie sehr schwer einzusammeln ist“, so Wong. „Aber wir hatten bereits größere Mengen dieser Strukturen im Labor erzeugt – genug um ihre optischen Eigen­schaften zu untersuchen.“

Die Erzeugung der künst­lichen Strukturen erfolgt über einen komplexen, mehr­stufigen Prozess, bei dem eine Doppel­schicht aus unter­schiedlich großen Poly­styrol-Kügel­chen als Träger­struktur dient. Zunächst entsteht mittels Spin­coating eine dicht gepackte Schicht aus den größeren Kugeln mit Durch­messern von zwei Mikro­metern. Nach dem Aufdampfen einer 100 Nanometer dicken Goldschicht wird darauf eine zweite Schicht mit kleineren Kugel gelegt, wobei das Verhältnis der Durch­messer der unter­schiedlichen Kugeln die Geometrie der Struktur bestimmt.

Diese dient im nächsten Schritt als Elektrode für die elektro­chemische Abscheidung von Silber. Nach dem an­schließenden Auflösen der Polystyrol-Kügelchen bleibt eine Silber­schicht zurück, die in ihrer Struktur der von dicht aneinander gepackten Brocho­somen ähnelt: auf jeder der großen, kugelförmigen Erhebungen, die den einzelnen Brocho­somen entsprechen, befinden sich hexagonal ange­ordnete Einbuchtungen an den Positionen, an denen sich zuvor die kleinen Kügelchen befunden hatten. Im Vergleich zu einer ebenen Silber­oberfläche, die sich nahezu wie ein perfekter Spiegel verhält, können derartige poröse Strukturen über Anregung von Plas­monen die Reflexion von Licht unter­drücken. Wie die Forscher betonen, ist der Herstellungs­prozess nicht auf Silber beschränkt, sondern funktioniert auch mit anderen Metallen oder leit­fähigen Polymeren.

Da den Forschern Polystyrol-Kügelchen in verschiedensten Größen von 100 Nanometer bis 10 Mikrometer zur Verfügung standen, konnten sie damit eine Vielzahl verschiedener Geometrien mit unter­schiedlichen Anzahlen von Einbuch­tungen realisieren. Die Tiefe der Einbuch­tungen konnten sie über die Dauer der elektro­chemischen Abscheidung kontrollieren. Wie Reflexions­spektra verschiedener Strukturen für Wellen­längen von 250 bis 2000 Nanometer zeigen, existiert ein optimales Verhältnis zwischen dieser Tiefe und der Größe der kleineren Kugeln in der oberen Schicht. Unter einem Einstrahlungswinkel von 45 Grad nimmt der Reflexions­grad dabei die minimalen Werte von 0,4 (ultraviolett), 0,2 (sichtbar) und 1,4 Prozent (nahes Infrarot) an. Die besonders starke Unterdrückung der Reflexion im sichtbaren und ultra­violetten Spektrum legt die Vermutung nahe, dass natür­liche Brocho­somen den Zwergzikaden als Tarnung vor ihren natürlichen Feinden dienen, deren Augen auf diese Bereiche optimiert sind.

Aufgrund der Anordnung der kleinen Poren auf den größeren, kugel­förmigen Erhebungen funk­tioniert die neuartige Antireflex­beschichtung über einen weiten Bereich von Einfall­winkeln. Für sichtbares Licht etwa beträgt der Reflexions­grad für Winkel zwischen acht und 45 Grad weniger 0,25 und für 65 Grad immer noch weniger als 0,7 Prozent. Im nahen Infrarot ist die Reflexion mit bis zu acht Prozent zwar deutlich höher, insgesamt liegt sie den Forschern zufolge aber immer noch im Bereich moderner, synthetischer Antireflex­beschich­tungen. In einem nächsten Schritt will Wong mit seinem Team versuchen, die Strukturen zu vergrößern und so für Wellen­längen im mittleren Infrarot­bereich zu adap­tieren.

Thomas Brandstetter

JOL

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