Chemische Evolution um jungen Stern
Überraschende Änderung der Chemie an der Zentrifugalbarriere eines Protosterns entdeckt.
Bei der Modellierung der chemischen Evolution in protoplanetarischen Scheiben verwendete man bislang die Zusammensetzung interstellarer Wolken als Anfangsbedingung. Beobachtungen eines internationalen Forscherteams mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) zeigen nun, dass diese Annahme eine zu starke Vereinfachung darstellt: Offenbar kommt es beim Einfall des Gases auf die protoplanetarische Scheibe an der Zentrifugalbarriere zu erheblichen chemischen Änderungen.
Abb.: Schematische Darstellung der Umgebung eines Protosterns: Von außen strömt weiter Gas auf den entstehenden Stern zu. An der Zentrifugalbarriere stößt das Gas auf die rotierende Gas- und Staubscheibe. Durch das Magnetfeld des Protosterns strömt an den Polen Gas in so genannten Jets nach außen. (Bild: N. Sakai)
Nami Sakai von der Universität Tokio und ihre Kollegen haben mit ALMA, einer internationalen Teleskop-Anlage in der chilenischen Atacama-Wüste, die Umgebung des Protosterns IRAS 04368+2557 in der Taurus-Molekülwolke untersucht. Mit einer Entfernung von 450 Lichtjahren ist diese Wolke die uns am nächsten gelegene große Sternentstehungsregion. Der Protostern ist in eine abgeflachte protostellare Hülle verpackt, die einen Durchmesser von etwa tausend Astronomischen Einheiten hat, rotiert und dabei langsam nach innen fällt. Außerdem besitzt der Protosten eine protoplanetarische Scheibe mit einem Radius von etwa 90 Astronomischen Einheiten.
Sakai und ihre Kollegen haben die Emissionslinien des zyklischen Kohlenwasserstoffs Cyclopropen, sowie von Schwefelmonoxid beobachtet. Die Messungen zeigen, dass die Strahlung von Cyclopropen ausschließlich aus der protostellaren Hülle stammt und innerhalb von 100 Astronomischen Einheiten nahezu völlig fehlt. Im Gegensatz dazu stammt die Strahlung von Schwefelmonoxid nahezu ausschließlich aus dem Bereich der protoplanetarischen Scheibe.
„Das bedeutet nicht, dass die beiden Stoffe chemisch direkt zueinander in Beziehung stehen“, betonen die Forscher. „Vielmehr kommt es zu beiden Änderungen durch eine Diskontinuität beim Gaseinfall, die so genannte Zentrifugalbarriere, und die damit verbundenen Aufheizungsprozesse.“ Denn beim Durchqueren der Zentrifugalbarriere wandelt sich die kinetische Energie des einfallenden Gases in Rotationsenergie um.
Sterne entstehen, wenn sich große Gaswolken unter der Last ihrer eigenen Schwerkraft immer weiter zusammenziehen. Im Zentrum der Wolke bildet sich zunächst ein Protostern, der von einer rotierenden Gas- und Staubscheibe umgeben ist. Über diese Scheibe kann das von außen aus der protostellaren Hülle weiter einfallende Gas zu dem entstehenden Stern strömen. Beim Einfall aus der Hülle auf die Scheibe steigt die Dichte des Gases auf das Tausendfache und die Temperatur von 10 auf 100 Kelvin.
Bislang gab es keinerlei Informationen darüber, ob dies auch mit chemischen Veränderungen einhergeht. Die nun entdeckte drastische Änderung der Chemie an der Zentrifugalbarriere sei „völlig unerwartet“, so Sakai und ihre Kollegen, und werfe ein neues Licht auf die Entwicklung der protoplanetarischen Scheiben um junge Sterne.
Rainer Kayser
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PH