Chemische Reaktionen von innen
Dynamik der Zwischenzustände von Elektronenwolken einzelner Atome in Molekülen verfolgt.
Mit Hilfe eines Röntgenlasers hat ein internationales Forscherteam, darunter Wissenschaftler von European XFEL, DESY und dem Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, genauer in die Elektronenwolken eines Moleküls geschaut als jemals zuvor. Dabei ist es gelungen, die Änderung von Zwischenzuständen von Elektronen exakt festzuhalten. Die Wissenschaftler konnten auch sehr kurzlebige Zustände, für die andere Verfahren zu ungenau sind, scharf abbilden. Solche Zustände existieren nur für einige Femtosekunden bis Pikosekunden, entscheiden aber über den Ablauf und das Ergebnis chemischer Reaktionen.
Abb.: Ein Eisenkomplex (Bild W. Gawelda, European XFEL)
Die Hauptrolle in der Molekül-Episode spielt ein Eisen-Komplex, der ähnlich wie zentrale Bestandteile von Hämoglobin oder Chlorophyll aus einem Metallatom und einem als Ligand bezeichneten organischen Rest besteht. Aufgenommen wurde die Szene am der derzeit stärksten Röntgenlaser der Welt, dem LCLS am Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien. Ein „normaler“ Laser im sichtbaren Bereich des Lichts versetzte das Molekül in einen angeregten Zustand – und initiierte damit den ersten Schritt einer lichtinduzierten chemischen Reaktion. Dabei nehmen die Elektronen des zentralen Metallatoms in dem Molekül verschiedene, von den Liganden beeinflusste Zustände ein. Bisher kannte man nur die Quantenzustände der Ausgangsstoffe und Reaktionsprodukte sehr gut, wusste aber kaum etwas über die kurzlebigen Zwischenzustände, die den Verlauf und vor allem das Ergebnis der Reaktion entscheidend bestimmen.
Um diese Zwischenzustände einzufangen, beschossen die Forscher die frisch angeregten Moleküle nach wenigen Femtosekunden mit harten Röntgenblitzen des Röntgenlasers LCLS – einer von derzeit nur zwei Lichtquellen weltweit, die solche extrem kurzen und gleißend helle Pulse erzeugen können. Dadurch lösten sie Elektronen aus der innersten Hülle des zentralen Eisenatoms. Auf den nun freigewordenen Platz rutscht dann ein Elektron aus der äußeren Hülle nach und sendet dabei seinerseits hartes Röntgenlicht aus. Das Spektrum des ausgesandten Lichts ist charakteristisch für den molekularen Quantenzustand, und liefert damit die gewünschten Informationen über die „Elektronenwolke“ um das zentrale Eisenatom.
Diese Messung haben die Forscher vielfach zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholt. Damit zeigt sich die nur einige 100 Femtosekunden dauernde Reise des angeregten Moleküls durch zwei nun eindeutig identifizierte Zwischenzustände in den Endzustand. „Unsere Experimente profitieren erheblich von den einzigartigen Forschungsmöglichkeiten an den neu entwickelten Röntgenlasern“, sagt Co-Autorin Katharina Kubiek, Wissenschaftlerin bei DESY und dem Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, die zurzeit als Peter Paul Ewald-Stipendiatin der Volkswagen-Stiftung am PULSE-Institut am SLAC in Stanford arbeitet. „Im Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Techniken können wir mit den LCLS-Röntgenblitzen gezielt das Eisenatom im Zentrum des Moleküls untersuchen, in dem die interessanten Prozesse stattfinden.“
„Allein durch diese Messung kennen wir den Quantenzustand der Elektronen noch nicht, aber durch einen Vergleich mit Modellkomplexen konnten wir mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit feststellen, wie diese aussehen“, erklärt Co-Autor Kelly J. Gaffney, Wissenschaftler bei SLAC. „Damit ist uns ein wichtiger Schritt hin zu einer Hochgeschwindigkeits-Kamera für Moleküle gelungen. Während andere Experimente die Bewegung der Atome zeigen, konnten wir auch die kleinsten energetischen und magnetischen Details der Elektronenwolken sichtbar machen, die diese Bewegungen auslösen“, sagt Wojciech Gawelda, Wissenschaftler bei European XFEL und Mitautor der Veröffentlichung. „Mit einer solchen Kamera könnten Forscher beispielsweise Molekülsysteme testen, die effizient Sonnenenergie umwandeln oder umweltfreundlich Schadstoffe aus der Abluft unschädlich machen können.“
Ein neuartiges wissenschaftliches Instrument am European XFEL, das FXE-Instrument (Femtosekunden-Röntgenexperiment-Instrument), wird ab 2017 noch detailschärfere echte Ultrahochgeschwindigkeitsfilme aufnehmen können. „Damit werden wir erstmals ein modernes molekulares Mikroskop haben, das mit Ultrahochgeschwindigkeit jede noch so kleine Bewegung im Molekül registriert“, erklärt Bressler.
XFEL / DESY / DE