Chiralität bestimmen leicht gemacht
Ortsaufgelöste Bestimmung der Händigkeit chiraler Strukturen in polykristallinen Festkörpern.
Die ortsaufgelöste Bestimmung, welche der beiden enantiomorphen Strukturvarianten – die linkshändige oder die rechtshändige – einer chiralen Phase in einem polykristallinen Material vorliegt, ist für viele Analysen entscheidend. Anhand von EBSD-Messungen (electron backscatter diffraction) wurde dies nun erstmals für die chirale Elementstruktur β-Mn gezeigt, für die eine Bestimmung der Händigkeit mit üblichen Röntgenbeugungsverfahren bisher nicht möglich war.
Links- oder Rechtshändigkeit ist eine Symmetrieeigenschaft, die auch viele makroskopische Objekte ausweisen und die insbesondere für die Bioaktivität von organischen Molekülen von immenser Bedeutung ist. Chiralität ist auch für physikalische oder chemische Eigenschaften wie optische Aktivität oder Enantioselektivität von kristallinen Festkörpern oder deren Oberflächen relevant. Bei chiralen, metallischen Phasen sind unkonventionelle Supraleitung und ungewöhnliche, magnetische Ordnungszustände mit der Chiralität der zugrunde liegenden Kristallstruktur verknüpft. Trotz dieses Zusammenhangs zwischen der Chiralität und den Eigenschaften eines Materials ist der Nachweis häufig schwierig, da links- und rechtshändige Strukturvarianten sich in ihrer Wirkung aufheben oder zumindest abschwächen können.
Nicht immer lassen sich von chiralen Phasen Legierungen herstellen, die nur eine der beiden Strukturvarianten enthalten. Häufig liegen beide Strukturvarianten in einem polykristallinen Material vor. Für systematische Untersuchungen ist es daher wichtig, die Händigkeit mit guter Ortsauflösung bestimmen zu können.
In der neuen Studie ließ sich zeigen, dass mit Hilfe von EBSD (Electron backscatter diffraction) Verfahrens die Verteilung der enantiomorphen Strukturvarianten nicht nur in polykristallinen Materialien von mehrkomponentigen Phasen bestimmt werden kann, sondern auch für die chirale Elementstruktur β-Mn. Der Unterschied zwischen mehrkomponentigen Kristallstrukturen und der Elementstruktur ist deshalb von besonderer Bedeutung, da das Röntgenbeugungsverfahren, das üblicherweise zur Bestimmung der Händigkeit verwendet wird, für eine chirale Elementstruktur wie β-Mn keine Aussage liefert.
Seit einigen Jahren ist EBSD ein etabliertes Verfahren, bei dem die lokale Kristallorientierung in einem polykristallinen Material bestimmt werden kann. EBSD wird im Rasterelektronenmikroskop durchgeführt. Es stellt daher eine vergleichsweise einfache Methode dar, mit der sich lokale, kristallographische Eigenschaften eines polykristallinen Materials bestimnen lassen. Die Kikuchi-Linien entstehen hierbei durch Beugung der Elektronen an einer stark gekippten, planen Oberfläche. Übliche Verfahren zur Auswertung der EBSD-Bilder lassen jedoch keine Aussage über die Händigkeit einer Phase zu. Erst die Berücksichtigung von dynamischer Elektronenmehrfachstreuung in den Simulationsrechnungen liefert Unterschiede in den Kikuchi-Linien der beiden enantiomorphen Strukturvarianten. Eine Zuordnung der Händigkeit erfolgt durch die bessere Übereinstimmung des experimentellen EBSD-Bildes mit einem der beiden simulierten Bilder.
Die experimentellen Untersuchungen wurden für β-Mn und die strukturell eng verwandten mehrkomponentigen Verbindung Pt2Cu3B durchgeführt. Für beide Phasen wurde anhand der EBSD-Bilder die Verteilung der beiden enantiomorphen Strukturvarianten bestimmt. Für die anschließenden Röntgenbeugungsuntersuchungen wurden mit Hilfe der Xenon-FIB-Technik (focused ion beam) Kristalle aus homogenen Bereichen der polykristallinen Materialien herausgeschnitten. Anhand der Röntgenbeugungsdaten ließ sich lediglich die Händigkeit der Pt2Cu3B-Kristalle bestimmen. Die Bestimmung von Bereichen, die nur eine der beiden enantiomorphen Strukturvarianten enthält, vereinfacht somit wesentlich die Herstellung von Materialien mit definierter Händigkeit.
MPI CPfS / DE