Cluster als Elektronenkarussell
Bisher unbekannter Quanteneffekt in den Winkelverteilungen von Photoelektronen.
Bei der Photoemission handelt es sich insbesondere bei Festkörpern um einen hochkomplexen Prozess. So konnten Forschende dessen Details bisher noch immer nicht vollständig aufklären. Der Arbeitsgruppe von Bernd von Issendorff vom Physikalischen Institut der Universität Freiburg ist es nun gelungen, in den Winkelverteilungen von Photoelektronen aus tiefkalten, massenselektierten Metallclustern einen bisher unbekannten Quanteneffekt nachzuweisen. Die Winkelverteilungen ähneln denen klassischer Teilchen, was sich überraschenderweise durch die starke Elektron-Elektron-Wechselwirkung in diesen Vielelektronen-Systemen erklären lässt.
Metallcluster können als Quantensysteme angesehen werden, die aus abzählbar vielen Quantenteilchen – hier Elektronen – in einem einfachen sphärischen Kastenpotential bestehen. Elektronen in einfachen Metallclustern haben relativ wohldefinierte Drehimpulse, obwohl ein Cluster nie perfekt rund ist. Der Grund hierfür liegt in der nahezu optimalen Abschirmung der Atomkerne durch das Elektronensystem. Dadurch erfährt ein einzelnes Elektron nur eine gemittelte Wechselwirkung, die der Wechselwirkung mit einem sphärischen Kastenpotential erstaunlich nahekommt. Das hat nicht nur zur Konsequenz, dass die Elektronen praktisch Drehimpulseigenzustände annehmen, also mit wohldefiniertem Drehimpuls im Cluster rotieren, sondern auch, dass die Photoemission des Elektrons nur an der Clusteroberfläche stattfindet. Denn hier kann der benötigte radiale Impuls auf das Elektron übertragen werden.
Bisher erwartete man, dass bei der Photoemission der Impuls des Elektrons parallel zur Oberfläche erhalten bleibt, da in dieser Richtung keine Kräfte wirken. „Da ein Elektron mit definiertem Drehimpuls an der Oberfläche einen definierten Impuls parallel zu dieser hat, konnte man davon ausgehen“, erklärt von Issendorff, „dass die Winkelverteilung der Elektronen der von Bällen entspricht, die von Kindern auf einem Karussell während der Drehung einfach losgelassen werden. Diese fliegen nicht etwa radial nach außen, sondern tangential zur Kreisbahn.“ Die Freiburger Forschenden beobachteten genau diesen Effekt an Metallclustern: Damit belegten sie, dass die Elektronen wirklich als in einem Kastenpotential rotierende Teilchen angesehen werden können, und dass die Elektronenemission tatsächlich nur an der Oberfläche stattfindet. Das eigentlich Überraschende daran aber sei, dass diese Beobachtung komplett im Widerspruch zu quantenmechanischen Simulationen stehen, die immer ein sehr viel komplexeres Verhalten vorhersagen, welches durch Interferenzen und Resonanzen im Ionisationsprozess dominiert wird.
Die Gruppe konnte diesen Widerspruch jedoch aufklären: Aufbauend auf ihren früheren Arbeiten und in Diskussion mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für komplexe Systeme in Dresden leiteten sie eine vollständige mathematische Beschreibung der Winkelfunktionen her, welche in Übereinstimmung mit dem Experiment steht. Kernelement dieser neuen Beschreibung ist die Annahme, dass der Cluster völlig intransparent ist für Elektronen: Im Inneren des Clusters werden Elektronen stark abgebremst. Das führt zu einer Unterdrückung der Interferenz- und Resonanzeffekte und damit zu einem fast klassischen Verhalten. Dass Dekohärenz Interferenzen unterdrückt, war bekannt. Neu ist jedoch, dass die starke Dissipation nicht etwa zu einer völligen Auswaschung der Winkelverteilungen der Elektronen führt, sondern im Gegenteil sehr strukturierte und fast klassische Verteilungen erzeugt.
„Wir sind daran gewöhnt, dass auf kleinen Skalen Quanteneffekte überwiegen, während für Effekte auf größeren Skalen eine klassische Beschreibung häufig eine gute Näherung ist“, erklärt von Issendorff. „Hier erwächst klassisches Verhalten auch auf einer kleinen Skala durch Dissipation. Das komplizierte Zusammenspiel vieler Elektronen führt dazu, dass sich eines dieser Elektronen wie ein klassisches Teilchen verhält.“
U. Freiburg / JOL