18.06.2021

Cluster als Elektronenkarussell

Bisher unbekannter Quanteneffekt in den Winkelverteilungen von Photoelektronen.

Bei der Photoemission handelt es sich insbesondere bei Festkörpern um einen hochkomplexen Prozess. So konnten Forschende dessen Details bisher noch immer nicht vollständig aufklären. Der Arbeitsgruppe von Bernd von Issend­orff vom Physikalischen Institut der Univer­sität Freiburg ist es nun gelungen, in den Winkel­verteilungen von Photoelektronen aus tiefkalten, massen­selektierten Metall­clustern einen bisher unbekannten Quanten­effekt nachzuweisen. Die Winkel­verteilungen ähneln denen klassischer Teilchen, was sich überraschender­weise durch die starke Elektron-Elektron-Wechsel­wirkung in diesen Viel­elektronen-Systemen erklären lässt. 

Abb.: Photo­emission: In einem Cluster – wie hier in einem anionischen...
Abb.: Photo­emission: In einem Cluster – wie hier in einem anionischen Natrium­cluster mit 55 Atomen - kreisende Elektronen behalten ihren Impuls parallel zur Oberfläche, wodurch sie bei bestimmten Photon­energien tangential zu dieser emittiert werden. (Bild: v. Issendorff)

Metallcluster können als Quanten­systeme angesehen werden, die aus abzählbar vielen Quanten­teilchen – hier Elektronen – in einem einfachen sphärischen Kasten­potential bestehen. Elektronen in einfachen Metall­clustern haben relativ wohldefinierte Drehimpulse, obwohl ein Cluster nie perfekt rund ist. Der Grund hierfür liegt in der nahezu optimalen Abschirmung der Atomkerne durch das Elektronen­system. Dadurch erfährt ein einzelnes Elektron nur eine gemittelte Wechsel­wirkung, die der Wechselwirkung mit einem sphärischen Kastenpotential erstaunlich nahekommt. Das hat nicht nur zur Konsequenz, dass die Elektronen praktisch Drehimpuls­eigenzustände annehmen, also mit wohl­definiertem Drehimpuls im Cluster rotieren, sondern auch, dass die Photo­emission des Elektrons nur an der Cluster­oberfläche stattfindet. Denn hier kann der benötigte radiale Impuls auf das Elektron übertragen werden.

Bisher erwartete man, dass bei der Photo­emission der Impuls des Elektrons parallel zur Oberfläche erhalten bleibt, da in dieser Richtung keine Kräfte wirken. „Da ein Elektron mit definiertem Drehimpuls an der Oberfläche einen definierten Impuls parallel zu dieser hat, konnte man davon ausgehen“, erklärt von Issen­dorff, „dass die Winkelverteilung der Elektronen der von Bällen entspricht, die von Kindern auf einem Karussell während der Drehung einfach losge­lassen werden. Diese fliegen nicht etwa radial nach außen, sondern tangential zur Kreisbahn.“ Die Freiburger Forschenden beo­bachteten genau diesen Effekt an Metallclustern: Damit belegten sie, dass die Elektronen wirklich als in einem Kasten­potential rotierende Teilchen angesehen werden können, und dass die Elektronen­emission tatsächlich nur an der Oberfläche stattfindet. Das eigentlich Überraschende daran aber sei, dass diese Beobachtung komplett im Widerspruch zu quanten­mechanischen Simulationen stehen, die immer ein sehr viel komplexeres Verhalten vorhersagen, welches durch Inter­ferenzen und Resonanzen im Ionisations­prozess dominiert wird.

Die Gruppe konnte diesen Widerspruch jedoch aufklären: Aufbauend auf ihren früheren Arbeiten und in Diskussion mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für komplexe Systeme in Dresden leiteten sie eine vollständige mathe­matische Beschreibung der Winkel­funktionen her, welche in Übereinstimmung mit dem Experiment steht. Kernelement dieser neuen Beschreibung ist die Annahme, dass der Cluster völlig intrans­parent ist für Elektronen: Im Inneren des Clusters werden Elektronen stark abgebremst. Das führt zu einer Unterdrückung der Interferenz- und Resonanz­effekte und damit zu einem fast klassischen Verhalten. Dass Dekohärenz Inter­ferenzen unterdrückt, war bekannt. Neu ist jedoch, dass die starke Dissipation nicht etwa zu einer völligen Auswaschung der Winkel­verteilungen der Elektronen führt, sondern im Gegenteil sehr struk­turierte und fast klassische Verteilungen erzeugt.

„Wir sind daran gewöhnt, dass auf kleinen Skalen Quanten­effekte überwiegen, während für Effekte auf größeren Skalen eine klassische Beschreibung häufig eine gute Näherung ist“, erklärt von Issen­dorff. „Hier erwächst klassisches Verhalten auch auf einer kleinen Skala durch Dissipation. Das komplizierte Zusammen­spiel vieler Elektronen führt dazu, dass sich eines dieser Elektronen wie ein klassisches Teilchen verhält.“

U. Freiburg / JOL

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