19.05.2017

Das belauschte Universum

Die ersten Gravitationswellen sind ins Netz gegangen, weitere werden folgen. Was bringt die Zukunft?

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Tiefen des Universums zu erforschen: die elektromagnetische, mit der wir in das Universum hinein ,,sehen", und die gravitationelle, mit der wir hinein ,,hören". Elektromagnetische Wellen haben als Quellen elektrische Ladungen, Gravitationswellen haben Massen, ja allgemeiner, jegliche Form von Energie als Ursache.

Die exotischste Form von Materie liegt ohne Zweifel im Innern von Schwarzen Löchern vor – wie die Gravitationswellen eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie. Bei Schwarzen Löchern verdichtet sich die Materie, bis sie unter ihrer eigenen Gravitation ins Bodenlose stürzt und als Singularität der Raumzeit-Geometrie endet. Sie verbirgt sich hinter einer geschlossenen Fläche als Horizont, aus dem kein Signal nach draußen dringen kann und dessen räumliche Ausdehnung proportional zur Masse des Schwarzen Loches ist. Schlechterdings unvorstellbare Objekte!

Computersimulation einer Gravitationswelle, die beim Verschmelzen von zwei Schwarzen Löchern emittiert wird (S. Ossokine, A. Buonanno (MPI Gravitationsphysik), W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)).


Ein Schwarzes Loch muss nach den Gesetzen der Physik mindestens drei Sonnenmassen schwer sein; nach oben hin ist seine Masse nicht begrenzt. Es kann also im Prinzip ein ganzes Universum verschlingen. Zwei andere Stadien der Sternentwicklung, Neutronensterne und Weiße Zwerge, existieren dagegen nur in zwei engen Massenbereichen unterhalb der Minimalmasse der Schwarzen Löcher.

Schwarze Löcher, Neutronensterne und Weiße Zwerge - genauer, deren Entstehung, Bewegung und Verschmelzung - sind Beobachtungsobjekte der Gravitationswellen-Astronomie. Aus der Messung von Gravitationswellen erschließen sich die zeitlichen und räumlichen Verteilungen ihrer Quellen mit weitreichenden Folgen für die Kosmologie.

Gravitationswellen entstehen bei der Beschleunigung von Materie, wobei kugelsymmetrische Vorgänge keine solchen Wellen abstrahlen. Aufgrund ihrer hohen Asymmetrie und starken Gravitationsfelder sind verschmelzende kompakte Objekte wie Schwarze Löcher und Neutronensterne die stärksten Quellen. Die bis heute gemessenen Signale stammen von verschmelzenden stellaren Schwarzen Löchern mit Massen in der Größenordnung von einigen zehn Sonnenmassen. Aus ihrer Messung ließen sich deren Massen und Drehimpulse vor und nach dem Verschmelzungsprozess bestimmen. Zukünftige Messungen von Verschmelzungsprozessen werden höhere Genauigkeiten erreichen und damit Alternativen zur Allgemeinen Relativitätstheorie noch stärker einschränken.

Besonders attraktiv wird die Beobachtung des Verschmelzens Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien sein. Sie besitzen Massen von mehreren Millionen und Milliarden Sonnenmassen. In diesen Frequenzbereich fallen auch Binärsysteme von stellaren Schwarzen Löchern, die sich im Minuten- bis Stundentakt umrunden, wie etwa der ultrakompakte Röntgendoppelstern 4U1820-30 mit einer Bahnperiode von 11 Minuten und einer Gravitationswellen-Frequenz von 3 mHz.

Beim Verschmelzen von Neutronensternen oder beim Kollaps eines ausgebrannten Sterns zu einem rotierenden Neutronenstern in einer Supernova werden die Gravitationswellen wichtige Informationen über die zugrunde liegenden Zustandsgleichungen liefern. Bei Supernovae können speziell die Unterschiede in den Ankunftszeiten zwischen den Gravitationswellen und Neutrinos aus dem Kernbereich einerseits und den Photonen aus dem Hüllenbereich andererseits wichtige Einsichten in die ablaufenden Prozesse liefern. Weist ein rotierender Neutronenstern Unförmigkeiten – sprich Abweichungen von der Kugelsymmetrie – auf, können diese über deren Gravitationswellen-Emission detektiert werden. Schon heute lässt sich aus der Tatsache, dass bislang keine Gravitationswellen von Neutronensternen nachgewiesen wurden, darauf schließen, dass deren Abweichungen von der Kugelform nicht mehr als etwa zehn Zentimeter betragen können.

Schließlich die Frühphase des Universums. Die Messung des kosmischen Gravitationswellen-Hintergrundes wird den Zustand des Universums ganz nahe am Urknall von 10–15 Sekunden und darunter erfahrbar machen. Kenntnisse aus der Messung kosmischer Neutrinos können zusätzlich Informationen aus der ersten Sekunde nach dem Urknall liefern. Die Astronomie mit Gravitationswellen und zukünftig vielleicht auch mit Neutrinos wird uns völlig neue Einsichten in den Beginn des Universums erschließen.

Gerhard Schäfer, Jena

Dieser Essay vom langjährigen Direktor des Theoretisch-Physikalischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Online-Ausgabe frei) kommentiert einen Artikel von Harald Lück (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Hannover) über den ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen, der in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen ist (nur mit Online-Abo frei einsehbar).

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