09.04.2009

Das Geheimnis des Fliegens

Computermodelle und Videoaufnahmen zeigen, wie Insekten und Vögel stabil durch die Lüfte manövrieren



Computermodelle und Videoaufnahmen zeigen, wie Insekten und Vögel stabil durch die Lüfte manövrieren

Chapel Hill (USA) - Die Natur bringt noch immer die besten Flugkünstler hervor. Doch wie Mücke, Nachtigall oder Adler exakt durch die Lüfte manövrieren, verstehen Aerodynamiker bisher nur rudimentär. Viele Theorien versuchen, das komplexe Zusammenspiel aus Flügelschlag, Körperhaltung und Luftströmung zu erklären. Amerikanische Wissenschaftler konzentrierten sich nun auf die schnellen und exakten Kursänderungen von Insekten, Fledermäusen und Vögeln im langsamen Flug. In der Fachzeitschrift "Science" präsentieren sie ein schlüssiges Modell für die Prozesse während eines Drehmanövers, von dem die Entwickler von Flugrobotern profitieren könnten.



Abb.: Ein Tabakschwärmer (Manduca sexta) nimmt im Flug Nahrung auf (Bild: Science AAAS)


"Drehmanöver durchlaufen immer zwei Phasen: eine Beschleunigung und ein Abbremsen der Winkelgeschwindigkeit", schreiben Tyson Hedrick und seine Kollegen von der  University of North Carolina in Chapel Hill. Um sich im langsamen Flug um 60 Grad oder mehr zu drehen, variieren Insekten und Vögel zuerst die Frequenz des Flügelschlags oder erzeugen über eine Körperbiegung ein Drehmoment. Doch innerhalb von 200 bis 300 Millisekunden müssen sie die Drehbewegung auch wieder stoppen. Zwar könnten die Flugkünstler dieses Abbremsen der Drehung aktiv durch unterschiedliche Schlagfrequenzen des rechten und linken Flügels erreichen. Aber die Analysen der Aerodynamiker zeigten, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass die Tiere einen passiven Bremseffekt zur Verringerung der Winkelgeschwindigkeit ausnutzen.

Die Ursache für dieses rasche Abbremsen der Drehbewegung liegt in den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Luftströmungen am rechten und linken Flügel. Wenn eine Nachtigall während einer Kursänderung ein wenig nach unten fliegt, nimmt die Strömungsgeschwindigkeit am äußeren Flügel zu. Fliegt sie nach oben, beschleunigt sich dagegen die Strömung am inneren Flügel. Obwohl die Frequenz der Flügelschläge auf beiden Seiten gleich bleibt, wirkt dabei ein Drehmoment gegen die Drehrichtung und bremst so die Kursänderung ab. Diesen Effekt nennen die Forscher "Flapping Counter-Torque" (FCT).

Auf dieser Grundlage simulierten Hedrick und Kollegen die Flugmanöver für Fruchtfliegen, Feldermäuse und Nachtigallen im Computer. Die Ergebnisse zeigten eine gute Übereinstimmung mit Videoaufnahmen der Tiere im Flug. Um die Winkelgeschwindigkeit während der Drehbewegung auf die Hälfte zu verringern, brauchten die Tiere zwischen einem und sechs Flügelschläge. Das hängt allerdings nicht von der Größe der Tiere, sondern von der Verteilung der Körpermasse und Flügelform ab. So brauchten Fruchtfliege und Nachtigall beide etwa zwei Flügelschläge für die Halbierung der Winkelgeschwindigkeit, weil sich die Proportionen ihrer Körper gleichen. Eine Fliege mit ausgeprägt großem Kopfbereich muss sechsmal flattern, um den gleichen Bremseffekt zu erzielen, eine Fledermaus dagegen weniger als einen Flügelschlag. Zudem zeigte sich, dass die Flugstabilität mit einer höheren Schlagfrequenz der Flügel verbessert werden konnte. 

Dieses passive Abbremsen einer Kursänderung könnte nach Aussagen der Forscher nun für die Konstruktion besserer Flugroboter genutzt werden. Sie schränken allerdings selbst ein, dass ihr FCT-Modell nur einen kleinen Teil der möglichen Flugmanöver von Insekten und Vögeln erklären helfen. So sind noch viele weitere Analysen nötig, um den Flugkünstlern der Natur all ihre Geheimnisse entreißen zu können. 

Jan Oliver Löfken


Weitere Infos:


Weiterführende Literatur:
  • S. N. Fry, R. Sayaman, M. H. Dickinson, Science 300, 495 (2003)
  • D. R. Warrick, K. P. Dial, J. Exp. Biol. 201, 655 (1998)
  • M. F. Land, T. S. Collett, J. Comp. Physiol. A 89, 331 (1974)
  • J. W. S. Pringle, in Insect Flight, M. Abercrombie, P. B. Medawar, G. Salt, M. M. Swann, V. B. Wigglesworth, Eds. (Cambridge Monographs in Experimental Biology, Cambridge Univ. Press, London, 1957), pp. 86-118

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