Das Muster der Rose
Eine Creme "zur Rose abziehen", gelingt nur guten Köchen. Ein physikalisches Verständnis von Scherkräften und Oberflächenspannungen hilft dabei.
Eine Englische Creme, küchensprachlich Crème Anglais, ist eine Universalcreme aus Zucker, Eigelb, Milch und Sahne, die für sich bereits als ausgezeichnetes Dessert schmeckt, aber auch als Basis für Eis, Puddings oder Füllungen für Gebäck dient. Damit die komplexe Flüssigkeit ihre cremige Konsistenz erhält, wird sie „zur Rose abgezogen“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich komplizierte Physik. Die Viskosität der Creme wird unter Erwärmen, ohne Flocken- oder Klumpenbildung, erhöht.
Für eine Englische Creme werden Eigelbe mit Zucker geschlagen, bis sich dieser löst. Dann werden Milch, Sahne und Vanille zugegeben. Anschließend wird die Masse in einer Schüssel, die im 80 °C warmen Wasserbad steht, unter Rühren vorsichtig erwärmt, bis die Konsistenz der „Rose“ erreicht ist. Dazu bläst der Koch auf den Rücken eines mit Creme benetzten Kochlöffels. Sobald sich ein charakteristisches rosenblattartiges Muster bildet (Abbildung 1), ist die Creme fertig und muss kaltgestellt werden.
Abb. 1 Das "Muster der Rose“ auf einem Kochlöffel. Der Luftstrom erzeugt eine Scherströmung γ . Die Oberflächenspannung σ (wie auch die Schwerkraft) wirken der Wellenbildung entgegen, die Proteine (gelb) erhöhen die Viskosität η stark, das Muster bleibt für eine gewisse Zeit bestehen.
Hinter diesem Muster der Rose verbirgt sich eine ungenaue, aber ausreichende „Messung“ der steigenden Viskosität. Während des Rührens und der damit erzeugten Scherdeformationen wird die Gelierung der Eigelbproteine unter Erwärmen verhindert. Die Rührgeschwindigkeit entspricht einer in 1/Sekunde gemessenen Scherrate( γ ). Ist die dazu gehörende Zeit 1/γ kürzer als die erforderliche Zeit für die Gelbildung, wird diese unterbunden, und es können sich nur einige Proteine zu Aggregaten verbinden. Dabei erhöht sich die Viskosität, aus der Flüssigkeit wird eine (viskoelastische) Creme.
Bläst der Koch hin und wieder auf die Creme, so zeigen sich Oberflächenwellen, die abhängig von der Viskosität relaxieren. Für die Relaxation sind Gravitation und Oberflächenspannung verantwortlich, während Reibungskräfte diese hemmen. Steigt die Viskosität während des Kochens, so bleiben die Wellenberge während des Beobachtungszeitraums stehen. Bleibt das Rosenmuster für 20 bis 30 Sekunden sichtbar, ist die Creme perfekt.
Jede Creme muss neu vermessen werden, da die Rezepturen stark variieren. Vor allem das Verhältnis Eigelb-zu-Flüssigkeit spielt eine maßgebliche Rolle. Es entscheidet über die erforderliche Temperatur, über die Stärke der Viskositätserhöhung und damit über das erwünschte Mundgefühl. Dies lässt sich anhand von Viskositätsmessungen in Rheometern zeigen.
Dazu wird je eine Probe der Creme zwischen zwei Platten aufgetragen, die man gegeneinander dreht. Über die erforderlichen Kräfte und die Drehgeschwindigkeit (Scherrate γ ) wird die Viskosität η über eine Kraftmessung gemäß der Beziehung F=ηγ bestimmt. Damit lässt sich der Verdünnungseffekt über die Zugabe von Milch und Sahne verfolgen. Beim reinen Eigelb wäre der Anstieg der Viskosität sehr stark (gelbe Kurve). Bei Temperaturen oberhalb von 70 °C wird Eigelb mehlig, und die Struktur bricht. Sahne (grau) und mehr Milch (hellgrau) verdünnen das Eigelb, der mittlere Abstand der Proteine wächst, sie flocken erst bei höheren Temperaturen aus. Wird zu viel Milch verwendet (blau), bleibt die Creme zu flüssig. Die „kulinarische Grenze“ für eine cremige Minimumviskosität deutet die gestrichelte Linie an.
Der Zucker ist, abgesehen von der Süße, für den physikalischen „Stand“ der Creme nützlich. Jedes Saccharosemolekül bindet viel Wasser in seiner Hydrathülle. Der damit verbundene Beitrag zur Viskositätserhöhung trägt ebenfalls zum Mundgefühl bei. Würde er durch weniger wasserbindende Süßstoffe ersetzt, verschöbe sich das Eigelb-Flüssigkeit-Verhältnis: mehr Eigelb wäre die Konsequenz.
Thomas Vilgis, MPI für Polymerforschung
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