Das Proton, hochaufgelöst
HERA-Experimente H1 und ZEUS veröffentlichen ihre kombinierte Datenanalyse.
15 Jahre lang wurde an Deutschlands größtem Teilchenbeschleuniger HERA gemessen, weitere acht Jahre wurden die Daten ausgewertet und analysiert. Jetzt haben die Teilchenphysiker der beiden großen Experimente H1 und ZEUS die weltweit präzisesten Resultate über die innere Struktur und das Verhalten des Protons veröffentlicht. Die Analyse zeichnet ein detailliertes Bild vom brodelnden Teilchensee im Inneren des Teilchens.
Abb.: Der Detektor H1 (links) verzeichnete von 1992 bis 2007 etwa eine Milliarde Kollisionen. Der 3600 Tonnen schwere ZEUS-Detektor (rechts; hier während Wartungsarbeiten geöffnet) war etwa zwanzig Meter lang. (Bilder: DESY)
Die Teams beider Detektoren kombinierten für die Auswertung die Daten von mehr als zwei Milliarden Teilchenkollisionen, die sie an DESYs Beschleuniger HERA beobachtet hatten. Rund dreihundert Forscher von siebzig Instituten haben intensiv an dieser Analyse gearbeitet. „Diese Publikation beinhaltet die Kronjuwelen von HERA und wird auf lange Zeit das präziseste Bild des Protons sein wird“, so DESY-Forschungsdirektor Joachim Mnich. „Diese Ergebnisse sind nicht nur wichtig für das Verständnis der grundlegenden Eigenschaften der Materie, sie sind auch eine essentielle Basis für Experimente an Protonenbeschleunigern wie dem LHC am CERN in Genf.
Das Proton – primär bestehend aus zwei up- und einem down-Quark – gleicht einer brodelnden Teilchensuppe, in der Gluonen weitere Gluonen produzieren oder Quark-Antiquark-Paare bilden, die Seequarks, die wiederum alle sehr schnell wieder miteinander wechselwirken. Die Hadron-Elektron-Ring-Anlage HERA dient speziell dazu, um tief in das Innere des Protons hineinzusehen und seine Struktur mit Hilfe von Elektronen als Sonden genauestens zu untersuchen. Von 1992 bis 2007 wurden dazu Protonen in einem 6,3 Kilometer langen, supraleitenden Beschleunigerring mit Elektronen oder Positronen zur Kollision gebracht. Die Leptonen drangen dabei tief in das Proton ein und streuten an den Konstituenten. Das geschieht entweder über die elektromagnetische oder über die schwache Kraft, die Reaktionen wurden in den beiden hausgroßen Vielzweck-Detektoren H1 und ZEUS gemessen.
Dabei analysierten die Wissenschaftler die Wahrscheinlichkeit für verschiedene Verhaltensweisen dieser Lepton-Proton-Streuprozesse an beiden Experimenten und verglichen ihre Ergebnisse mit den Vorhersagen der Quantenchromodynamik. Ergebnis: Die HERA-Ergebnisse stimmen ideal mit der QCD überein und zeigen dabei, dass die Struktur des Protons immer dynamischer wird, je höher die Energie ist, bei der sie erkundet wird.
Abb.: Die kombinierten Daten zeigen, dass die elektromagnetische Kraft (rot) und die schwache Kraft (blau) bei hohen Energien (Q2) zu einer verschmelzen. (Bild: DESY)
Als weiteres Ergebnis können die HERA-Daten eindrucksvoll belegen, dass sich die elektromagnetische und die schwache Kraft bei extrem hohen Energien vereinigen, wie es das Standardmodell vorhersagt. Diese Erkenntnis stützt die Vermutung der Physiker, diese beiden Kräfte seien zwei Seiten derselben Medaille, obwohl die elektromagnetische Kraft bei niedrigen Energien viel stärker ist als die schwache Kraft. Dieses Ergebnis weist vielleicht am Ende sogar den Weg zur Vereinheitlichung aller vier Grundkräfte der Natur.
In den HERA-Daten konnten die Physiker die beiden Kräfte anhand der Art der Trägerteilchen identifizieren, die die Kräfte vermitteln, die Z- und W-Bosonen. Bei hohen Kollisionsenergien zeigen die H1- und ZEUS-Daten, dass sich beide Kräfte absolut gleich verhalten – ein deutlicher Hinweis auf die elektroschwache Vereinigung.
„Durch die Kombination der Messungen von beiden Detektoren erreichen wir die höchstmögliche Präzision unserer Ergebnisse“, sagt H1-Sprecher Stefan Schmitt vom DESY. „Die kombinierten Daten profitieren nicht nur von der verbesserten Statistik, sondern auch von einem besseren Verständnis jeder einzelnen Messung und von der Interkalibration, die sich dadurch ergibt, dass beide Wissenschaftlergruppen unterschiedliche Detektoren und experimentelle Techniken für ihre Messungen nutzten.“ Allerdings ist die Kombination der Daten aus genau diesem Grund enorm aufwendig – sie wurden von unterschiedlichen Teilchendetektoren aufgezeichnet, mit verschiedenen Techniken analysiert und über einem Zeitraum von 15 Jahren gesammelt. „Jeder der Datenpunkte hat bis zu zwanzig Unsicherheitsquellen, und bei der Kombination der Daten kann jede der zwanzig Quellen mit den Unsicherheiten des nächsten Datenpunktes in Beziehung gebracht werden, und alle diese Beziehungen müssen verstanden werden“, sagt ZEUS-Sprecher Matthew Wing vom University College London.
Abb.: Der einzigartige Teilchenbeschleuniger HERA besteht eigentlich aus zwei Beschleunigern: dem supraleitenden Protonenring (oben) und dem normalleitenden Elektronenring (unten; Bild: DESY)
Bereits im Jahr 2009 veröffentlichten H1 und ZEUS eine gemeinsame Arbeit über die Struktur des Protons, das allerdings nur auf den Daten des HERA-Betriebs bis zum Jahr 2000 basiert. Die jetzt erschienene Veröffentlichung basiert auf der vierfachen Anzahl an Teilchenkollisionen und enthält auch Daten aus einem speziellen Betrieb von HERA bei unterschiedlichen Teilchenenergien.
Dennoch hinterlassen die Daten auch immer noch Rätsel bei der Überprüfung des Standardmodells der Teilchenphysik. „Besonders bei einem niedrigen Energieübertrag zwischen Elektron und Proton kann die als Bezugstheorie verwendete Quantenchromodynamik unsere Messungen nicht ausreichend beschreiben“, sagt Wing. „Das wird auf alle Fälle etwas sein, auf das Theoretiker und Phänomenologen in Zukunft ein Auge werfen sollten.“
DESY / OD