02.07.2015

Das Proton, hochaufgelöst

HERA-Experimente H1 und ZEUS veröf­fent­lichen ihre kombi­nierte Daten­analyse.

15 Jahre lang wurde an Deutschlands größtem Teilchen­beschleuniger HERA gemessen, weitere acht Jahre wurden die Daten ausgewertet und analysiert. Jetzt haben die Teilchen­physiker der beiden großen Experimente H1 und ZEUS die weltweit präzisesten Resultate über die innere Struktur und das Verhalten des Protons veröffent­licht. Die Analyse zeichnet ein detail­liertes Bild vom brodelnden Teil­chensee im Inneren des Teilchens.

Abb.: Der Detektor H1 (links) verzeichnete von 1992 bis 2007 etwa eine Milliarde Kollisionen. Der 3600 Tonnen schwere ZEUS-Detektor (rechts; hier während Wartungs­arbeiten geöffnet) war etwa zwanzig Meter lang. (Bilder: DESY)

Die Teams beider Detektoren kombinierten für die Auswertung die Daten von mehr als zwei Milliarden Teilchen­kolli­sionen, die sie an DESYs Beschleuniger HERA beobachtet hatten. Rund dreihundert Forscher von siebzig Instituten haben intensiv an dieser Analyse gearbeitet. „Diese Publikation beinhaltet die Kronjuwelen von HERA und wird auf lange Zeit das präziseste Bild des Protons sein wird“, so DESY-Forschungs­direktor Joachim Mnich. „Diese Ergebnisse sind nicht nur wichtig für das Verständnis der grundlegenden Eigen­schaften der Materie, sie sind auch eine essentielle Basis für Experimente an Protonen­beschleunigern wie dem LHC am CERN in Genf.

Das Proton  – primär bestehend aus zwei up- und einem down-Quark – gleicht einer brodelnden Teilchen­suppe, in der Gluonen weitere Gluonen produzieren oder Quark-Antiquark-Paare bilden, die Seequarks, die wiederum alle sehr schnell wieder miteinander wechsel­wirken. Die Hadron-Elektron-Ring-Anlage HERA dient speziell dazu, um tief in das Innere des Protons hinein­zusehen und seine Struktur mit Hilfe von Elektronen als Sonden genauestens zu unter­suchen. Von 1992 bis 2007 wurden dazu Protonen in einem 6,3 Kilometer langen, supraleitenden Beschleu­niger­ring mit Elektronen oder Positronen zur Kollision gebracht. Die Leptonen drangen dabei tief in das Proton ein und streuten an den Konstituenten. Das geschieht entweder über die elektro­magne­tische oder über die schwache Kraft, die Reaktionen wurden in den beiden haus­großen Vielzweck-Detektoren H1 und ZEUS gemessen.

Dabei analysierten die Wissen­schaftler die Wahrschein­lichkeit für verschiedene Verhaltens­weisen dieser Lepton-Proton-Streu­prozesse an beiden Experimenten und verglichen ihre Ergebnisse mit den Vorhersagen der Quanten­chromo­dynamik. Ergebnis: Die HERA-Ergebnisse stimmen ideal mit der QCD überein und zeigen dabei, dass die Struktur des Protons immer dynamischer wird, je höher die Energie ist, bei der sie erkundet wird.

Abb.: Die kombinierten Daten zeigen, dass die elektro­magne­tische Kraft (rot) und die schwache Kraft (blau) bei hohen Energien (Q2) zu einer verschmelzen. (Bild: DESY)

Als weiteres Ergebnis können die HERA-Daten eindrucksvoll belegen, dass sich die elektro­magnetische und die schwache Kraft bei extrem hohen Energien vereinigen, wie es das Standardmodell vorhersagt. Diese Erkenntnis stützt die Vermutung der Physiker, diese beiden Kräfte seien zwei Seiten derselben Medaille, obwohl die elektro­magnetische Kraft bei niedrigen Energien viel stärker ist als die schwache Kraft. Dieses Ergebnis weist vielleicht am Ende sogar den Weg zur Verein­heit­lichung aller vier Grund­kräfte der Natur.

In den HERA-Daten konnten die Physiker die beiden Kräfte anhand der Art der Trägerteilchen identifizieren, die die Kräfte vermitteln, die Z- und W-Bosonen. Bei hohen Kollisionsenergien zeigen die H1- und ZEUS-Daten, dass sich beide Kräfte absolut gleich verhalten – ein deutlicher Hinweis auf die elektroschwache Vereinigung.

„Durch die Kombination der Messungen von beiden Detektoren erreichen wir die höchst­mögliche Präzision unserer Ergebnisse“, sagt H1-Sprecher Stefan Schmitt vom DESY. „Die kombinierten Daten profitieren nicht nur von der verbes­serten Statistik, sondern auch von einem besseren Verständnis jeder einzelnen Messung und von der Inter­kalibration, die sich dadurch ergibt, dass beide Wissen­schaftler­gruppen unter­schiedliche Detektoren und experimentelle Techniken für ihre Messungen nutzten.“ Allerdings ist die Kombination der Daten aus genau diesem Grund enorm aufwendig – sie wurden von unter­schied­lichen Teilchen­detektoren aufgezeichnet, mit verschie­denen Techniken analysiert und über einem Zeitraum von 15 Jahren gesammelt. „Jeder der Datenpunkte hat bis zu zwanzig Unsicher­heits­quellen, und bei der Kombination der Daten kann jede der zwanzig Quellen mit den Unsicher­heiten des nächsten Datenpunktes in Beziehung gebracht werden, und alle diese Beziehungen müssen verstanden werden“, sagt ZEUS-Sprecher Matthew Wing vom University College London.

Abb.: Der einzigartige Teilchenbeschleuniger HERA besteht eigentlich aus zwei Beschleunigern: dem supra­leitenden Pro­tonen­ring (oben) und dem normal­leitenden Elek­tronen­ring (unten; Bild: DESY)

Bereits im Jahr 2009 veröffentlichten H1 und ZEUS eine gemeinsame Arbeit über die Struktur des Protons, das allerdings nur auf den Daten des HERA-Betriebs bis zum Jahr 2000 basiert. Die jetzt erschienene Veröffent­lichung basiert auf der vierfachen Anzahl an Teilchen­kollisionen und enthält auch Daten aus einem speziellen Betrieb von HERA bei unter­schied­lichen Teilchen­energien.

Dennoch hinterlassen die Daten auch immer noch Rätsel bei der Überprüfung des Standard­modells der Teilchen­physik. „Besonders bei einem niedrigen Energie­übertrag zwischen Elektron und Proton kann die als Bezugs­theorie verwendete Quanten­chromo­dynamik unsere Messungen nicht ausreichend beschreiben“, sagt Wing. „Das wird auf alle Fälle etwas sein, auf das Theore­tiker und Phänome­nologen in Zukunft ein Auge werfen sollten.“

DESY / OD

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