04.04.2022

Das Rückgrat der Großen Magellanschen Wolke

Wichtiger Beitrag zur Untersuchung der dynamischen Eigenschaften von Balkengalaxien.

Anhand von Daten der Vista-Durchmusterung des Magellan­schen Wolken­systems (VMC) haben Forschende des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam AIP in Zusammenarbeit mit dem VMC-Team die Existenz von lang­gestreckten Bahnen bestätigt, die das Rückgrat des Balkenbildungs­prozesses bilden. Die Methode verwendete wiederholte bildgebende Beobach­tungen, um eine Geschwindigkeits­karte der Sterne in der zentralen Region der Großen Magellan­schen Wolke zu erstellen.

Abb.: Die Sterne im Zentrum der Großen Magellanschen Wolke folgen länglichen...
Abb.: Die Sterne im Zentrum der Großen Magellanschen Wolke folgen länglichen Bahnen, die von einer Kreisform abweichen. (Bild: F. Niederhofer, AIP / VISTA VMC Survey)

Die Große Magellan­sche Wolke ist von der südlichen Hemisphäre aus mit bloßem Auge sichtbar, da sie die hellste und massereichste Satelliten­galaxie der Milchstraße ist. Sie ist reich an Sternen, die eine große Altersspanne abdecken, von neu entstehenden Sternen bis zu Sternen, die so alt sind wie das Universum. Sie wird als irreguläre Galaxie eingestuft, weil sie durch einen einzelnen Spiralarm und einen vom Zentrum der Scheibe abgesetzten Balken gekennzeichnet ist. „Stellare Balken­strukturen sind ein häufiges Merkmal von Spiral­galaxien. Man nimmt an, dass sie durch kleine Störungen innerhalb der stellaren Scheibe entstehen, die die Sterne aus ihrer Kreisbewegung herauslenken und sie auf lang­gestreckte Bahnen zwingen“, sagt Florian Niederhofer. „Eine besondere Art dieser Bahnen sind jene, die mit der Hauptachse des Balkens ausgerichtet sind. Diese gelten als das ‚Rückgrat‘ der Sternbalken und bilden die Hauptstütze der Balkenstruktur.“

Das Vista-Teleskop wurde entwickelt, um den südlichen Himmel im nahen Infrarot zu durchmustern und Quellen zu untersuchen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder der Anwesenheit von Staub bevorzugt in diesem Spektralbereich emittieren. Anhand von VMC-Daten hat das Team nun e­rstmals diese Bahnen innerhalb des Balkens der Großen Magellan­sche Wolke nach­gewiesen. VMC ist eine Multi-Epochen-Durchmusterung des Systems der Magellan­schen Wolken und ein öffentliches Durchmusterungs­projekt der Euro­päischen Südstern­warte (ESO), das zwischen 2010 und 2018 durchgeführt wurde und darauf abzielt, den stellaren Inhalt und die Dynamik unserer nächsten extra­galaktischen Nachbarn zu untersuchen.

Das Team entwickelte eine ausgeklügelte Methode zur genauen Bestimmung der Eigen­bewegungen von Stern­populationen innerhalb der Magellanschen Wolken. Es wendete diese Methode auf zentrale Teile der Großen Magellansche Wolke an. Aus den gemessenen Werten berechneten die Forschenden die tatsächlichen Stern­bewegungen innerhalb der Großen Magellansche Wolke und erstellten detaillierte Geschwindigkeits­karten der internen Geschwindigkeits­struktur der Galaxie. „Die erstaunliche Detailgenauigkeit der Geschwindigkeits­karten zeigt, wie sehr sich unsere Methode im Vergleich zu früheren Messungen vor einigen Jahren verbessert hat“, sagt Thomas Schmidt, Doktorand am AIP. Zum Erstaunen der Forschenden enthüllten ihre Karten langgestreckte Stern­bewegungen, die der Struktur und Ausrichtung des Balkens folgen.

„Dank ihrer geringen Entfernung von etwa 163.000 Lichtjahren können wir mit boden­gebundenen Teleskopen wie Vista einzelne Sterne innerhalb der Magellan­schen Wolken beobachten“, sagt Maria-Rosa Cioni, die Leiterin des VMC-Projekts und der Abteilung Zwerg­galaxien und der galaktische Halo am AIP. „Damit bieten uns diese Galaxien ein einzigartiges Labor, in dem wir die Prozesse, die Galaxien formen und bilden, im Detail untersuchen können.“ Von großem Interesse ist die Dynamik der Sterne, da sie wertvolle Infor­mationen über die Entstehung und Entwicklung der Galaxien liefern. Lange Zeit waren jedoch die eindimensionalen Geschwindigkeiten der Sterne entlang der Sichtlinie die einzige Quelle für dynamische Informationen. Diese Geschwindigkeiten können leicht durch spektro­skopische Doppler­verschiebungen gemessen werden.

Um die vollständigen drei­dimensionalen Geschwindig­keiten der Sterne zu erhalten, muss man die Eigen­bewegungen der Sterne kennen, d. h. die scheinbaren zweidimensionalen Bewegungen der Sterne in der Himmelsebene. Diese Bewegungen können durch mehrfache Beobachtung derselben Sterne über einen bestimmten Zeitraum, in der Regel mehrere Jahre, ermittelt werden. Die Verschiebungen der Sterne werden dann in Bezug auf nahe gelegene Referenz­objekte bestimmt. Bei diesen Objekten kann es sich etwa um sehr weit entfernte Hintergrund­galaxien handeln, von denen man aufgrund ihrer großen Entfernung annehmen kann, dass sie sich in Ruhe befinden, oder um Sterne mit bereits bekannten Eigenbewegungen. Da die beobachteten Bewegungen der Sterne von der Erde aus gesehen winzig sind, sind präzise Messungen immer noch eine Heraus­forderung. In der Entfernung der Magellanschen Wolken liegen die beobachteten Bewegungen der Sterne in der Größenordnung von Millibogen­sekunden pro Jahr – eine Millibogen­sekunde entspricht etwa der Größe einer Astronautin auf dem Mond, von der Erde aus gesehen.

„Unsere Entdeckung ist ein wichtiger Beitrag zur Untersuchung der dynamischen Eigenschaften von Balken­galaxien, da die Magellan­schen Wolken derzeit die einzigen Galaxien sind, in denen wir solche Bewegungen mit Hilfe der stellaren Eigen­bewegungen untersuchen können. Für weiter entfernte Galaxien liegt dies noch jenseits unserer technischen Möglich­keiten“, sagt Florian Niederhofer. Insgesamt wurden neun Jahre lang Beobach­tungen durchgeführt, um genügend Bilder zu sammeln, um diese winzigen Bewegungen messen zu können. „Diese unerwartete Messung ergänzt eine ganze Reihe von bedeutenden Ergeb­nissen, die das VMC-Team erzielt hat“, sagt Maria-Rosa Cioni.

AIP / JOL

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