16.05.2012

Das Schweigen des Satelliten

Nach über zehn Jahren hat die ESA den Kontakt zu ihrem wichtigsten Klimasatelliten Envisat verloren und die Mission für beendet erklärt.

Das Ende kam aus heiterem Himmel: Am 8. April brach urplötzlich der Kontakt zu Europas wichtigstem Klimasatelliten Envisat ab. Knapp fünf Wochen später erklärte die ESA die Mission für beendet, nachdem die Bemühungen, den Kontakt wieder herzustellen, gescheitert waren. Die Bilder anderer Satelliten sowie von Radarstationen am Boden zeigen, dass sich Envisat weiterhin auf einer stabilen Bahn befindet. Anhand der bisherigen Untersuchungen haben die Ingenieure zwei Ausfallszenarien ausgearbeitet: Entweder ist der Leistungsregler ausgefallen, wodurch Telemetrie und Fernsteuerung blockiert sind. Oder ein Kurzschluss hat dazu geführt, dass Envisat zunächst in einen abgesicherten Modus übergangen ist. Eine Anomalie könnte den Satelliten anschließend in einen unbekannten Zwischenzustand gebracht haben. Auch wenn die Chancen gering sind, den Kontakt wieder zu erlangen, wird das Notfallteam der ESA seine Bemühungen noch für rund zwei Monate fortsetzen.

Damit geht eine über zehnjährige Erfolgsgeschichte überraschend zu Ende. Am 1. März 2002 brachte eine Ariane-5-Rakete den acht Tonnen schweren ESA-Klimasatellit aus dem französisch-guayanischen Kourou ins All. Seitdem hat er die Erde in rund 782 km Höhe über 50000 Mal umrundet, tausende von Bildern aufgenommen und mehr als 1000 Terabyte an Daten geliefert, aus denen etwa 2500 wissenschaftliche Veröffentlichungen hervorgegangen sind. Mehr als 4000 Projekte in über 70 Ländern haben von Envisat profitiert: Die zehn wissenschaftlichen Instrumente an Bord haben den Rückgang des arktischen Meereises nachgewiesen, Ozeanströmungen und Chlorophyllkonzentrationen im Meer gemessen, die zunehmende Luftverschmutzung in Asien beobachtet, Kohlendioxid- und Methankonzentrationen bestimmt und Schwankungen des Ozonlochs oder die Bodenbewegungen infolge von Vulkanausbrüchen und Erdbeben verfolgt. Neben der Wissenschaft hat Envisat auch operationelle Dienste mit Daten versorgt – dabei ging es beispielsweise um die Überwachung von Überschwemmungen und Ölteppichen oder um die Atmosphärenverschmutzung.

Dieses eindrucksvolle Bild vom 2. Dezember 2011 zeigt eine Phytoplankton-Blüte in Form einer „8“, die sich im südlichen Atlantik rund 600 km östlich der Falkland Inseln befindet. Aus den Daten lassen sich Chlorophyll-Pigmente, ihre Spezies und mögliche Toxizität bestimmen (Bild: ESA)

Für die Erdbeobachtung hat das Aus für Envisat gravierende Auswirkungen: „Wir haben jetzt eine große Datenlücke in verschiedenen Bereichen, und wichtige Zeitreihen in der Atmosphärenchemie sind unterbrochen“, führt Volker Liebig, ESA-Direktor für die Erdbeobachtungsprogramme, aus. Drei Monate lang liefert ein alternder kanadischer Satellit gemäß eines gegenseitigen Unterstützungsabkommens die dringendsten Radardaten, aber beispielsweise fehlt nun eines der Altimeter, welches die Meereshöhe misst und den Anstieg des Meeresspiegels überwacht. Zudem hat Envisat die genaueste Messung der Meeresoberflächentemperatur geliefert. „Das wirkt sich sogar auf den Alltag aus“, meint Liebig. „So war es möglich, im Internet die Meerestemperatur nachzuschauen und danach das Urlaubsziel auszuwählen.“ Auch gab es einen frei zugänglichen Service im Internet, der auf Basis von Ozonmessungen die UV-Strahlung vorhergesagt hat, sodass man sich entsprechend schützen konnte.

Noch gravierender sind die Einschnitte für die Wissenschaft, aber auch für Katastrophendienste. „Für jede größere Katastrophe haben wir die Daten geliefert, beispielsweise haben wir nach dem großen Erdbeben in Japan mit dem Radar messen können, wie sich die Erde verschoben hat. Oder als Deepwater Horizon vor zwei Jahren explodiert ist, haben wir laufend die Ausbreitung des Ölteppichs vermessen und die Daten an die Amerikaner geliefert. Diese Unterstützung fällt nun weg“, bedauert Volker Liebig.

Auch wenn Envisat bereits doppelt so lang in Betrieb war wie ursprünglich geplant, hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehofft, dass der Satellit noch bis Ende kommenden Jahres durchhalten würde, denn erst dann könnten die ersten Satelliten der Nachfolgemission Sentinel im All sein. Die sieben Sentinel-Satelliten sind Teil des GMES-Programms (Global Monitoring for Environment and Security) und sollen in den Jahren 2013 bis 2020 ihren Betrieb aufnehmen und Envisat ersetzen. Die ersten drei Satelliten sind fast fertig gestellt und könnten nächstes und übernächstes Jahr starten, doch noch fehlt die Zusage der EU, die Betriebskosten von jährlich 175 Millionen Euro über Mitte 2014 hinaus zu zahlen. „Das ist ein taktisches Spielchen“, ist Volker Liebig überzeugt. „Die EU hat GMES zur Geisel genommen, um mehr Geld zu bekommen.“ Die EU hoffe, dass den Mitgliedsländern der ESA das Projekt wichtig genug sei, um zusätzliche Mittel dafür bereit zu stellen. Die notwendigen Budgetentscheidungen müssen allerdings schnell fallen, denn im Juni muss die ESA der Arianespace das Startfenster für die ersten Satelliten mittteilen, damit der Start 2013 erfolgen kann. Noch ist allerdings nicht abzusehen, wie die Mitgliedsländer entscheiden. Volker Liebig wird in den anstehenden Meetings und Diskussionen dafür eintreten, die Finanzierung rasch zu klären: „Ich hoffe, dass nach dem überraschenden Ende von Envisat die Ernsthaftigkeit der Situation klar wird und man versucht, konstruktiv zu einer Lösung zu kommen.“

Maike Pfalz

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