Das ungleichmäßige Universum
Kosmische Expansion mit Methoden aus der Physik von Vielteilchensystemen untersucht.
In kosmologischen Rechnungen wird fast immer angenommen, dass die Materie im Universum gleichmäßig verteilt ist. Das liegt daran, dass die Berechnungen zu kompliziert würden, würde man die Position jedes einzelnen Sterns berücksichtigen. In Wirklichkeit ist das Universum jedoch nicht gleichmäßig. An manchen Stellen befinden sich Sterne und Planeten, an anderen herrscht Leere. Michael te Vrugt und Raphael Wittkowski von der Uni Münster haben jetzt mit Sabine Hossenfelder vom Frankfurt Institute for Advanced Studies ein neues Modell für dieses Problem entwickelt. Ausgangspunkt ist der Mori-Zwanzig-Formalismus, eine Methode zur Beschreibung von Systemen aus sehr vielen Teilchen mit einer kleinen Anzahl von Messgrößen.
„Streng genommen ist es mathematisch falsch, den Mittelwert der Energiedichte des Universums in die Gleichungen der Allgemeine Relativitätstheorie einzusetzen“, erklärt Hossenfelder. Die Frage ist, wie schlimm der dadurch gemachte Fehler ist. Manche Experten halten ihn für irrelevant, andere sehen darin die Lösung für das Rätsel der dunklen Energie, deren physikalische Natur bislang unbekannt ist. Eine ungleichmäßige Verteilung der Masse im Universum kann sich auf die kosmische Expansionsgeschwindigkeit auswirken.
„Der Mori-Zwanzig-Formalismus wird bereits in sehr vielen Forschungsgebieten von der Biophysik bis zur Teilchenphysik erfolgreich eingesetzt, daher bot er auch für dieses astrophysikalische Problem einen vielversprechenden Ansatz“, sagt Wittkowski. Das Team verallgemeinerte diesen Formalismus, sodass er auf die ART angewendet werden konnte, und leitete so ein Modell für die kosmische Expansion unter Berücksichtigung kosmischer Ungleichmäßigkeiten her.
Das Modell macht eine konkrete Vorhersage für die Auswirkung der Inhomogenitäten auf die Geschwindigkeit der Ausdehnung des Universums. Diese weicht leicht von der Vorhersage des Lambda-CDM-Modells ab und bietet daher eine Möglichkeit, das neue Modell experimentell zu testen. „Aktuell sind die astronomischen Daten nicht genau genug, um diese Abweichung zu messen, aber die großen Fortschritte etwa bei der Messung von Gravitationswellen bieten Anlass zur Hoffnung, dass sich das ändert“, sagt te Vrugt. „Außerdem lässt sich die neue Variante des Mori-Zwanzig-Formalismus auch auf andere astrophysikalische Probleme anwenden, die Arbeit ist also nicht nur für die Kosmologie relevant.“
WWU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
M. te Vrugt, S. Hossenfelder & R. Wittkowski: Mori-Zwanzig Formalism for General Relativity: A New Approach to the Averaging Problem, Phys. Rev. Lett. 127, 231101 (2021); DOI: 10.1103/PhysRevLett.127.231101 - AG Wittkowski, Institut für theoretische Physik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
- Theoretische Physik, Frankfurt Institute for Advanced Studies