17.12.2009

Daten aus lebenden Zellen

Optisches Verfahren misst molekulare Reaktionszeiten.

Optisches Verfahren misst molekulare Reaktionszeiten.

Die Moleküle in unseren Zellen bilden ein komplexes Netzwerk aus Wechselwirkungen, deren zeitliche Abläufe bislang nicht gemessen werden konnten. Biologen untersuchen stattdessen die Geschwindigkeit einzelner molekularer Reaktionen außerhalb der Zelle. Fraglich ist aber, wie aussagekräftig diese Analysen sind, weil die Moleküle der Zelle in meist höherer Konzentration vorliegen und alle Interaktionen gleichzeitig ablaufen.

Ein Team um den Biophysiker Dieter Braun von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität untersuchte nun mit einem optischen Verfahren die Reaktionszeiten für die Kopplung zweier Stränge des Erbmoleküls DNA direkt in der Zelle. Und wurde überrascht: "Wir hatten erwartet, in der Zelle schnellere Reaktionen zu finden", sagt Braun. "Die Kopplung lief aber abhängig von der Länge des DNA-Stranges manchmal sogar langsamer ab als außerhalb der Zelle." Mit Hilfe dieser Methode können nun auch Daten aus lebenden Zellen in Modelle einfließen, die komplexe Vorgänge in biologischen Zellen abbilden - und möglicherweise helfen, Krankheiten zu erforschen.

Die Doppelhelix des Erbmoleküls DNA entsteht, wenn sich zwei Einzelstränge aneinanderlagern. In der Studie brachten das Forscherteam zwei zusammengehörende DNA-Stränge in eine Zelle ein und analysierte die Geschwindigkeit deren Hybridisierung, also deren Kopplung und Entkopplung. Zur Messung der Reaktionsgeschwindigkeit - die sogenannte Kinetik - induzierten sie mit einem infraroten Laser Temperaturschwingungen verschiedener Frequenzen in der Zelle und erfassten die Konzentration der Reaktionspartner, also der einzelnen bzw. gekoppelten DNA-Stränge. War die Frequenz langsamer als die Reaktionszeit, folgten die gemessenen Konzentrationen der Temperaturschwingung. War sie schneller, so zeigten die Konzentrationen gegenüber dem Temperaturverlauf eine zeitliche Phasenverschiebung.

Die Reaktionszeit ergab sich aus der Auswertung der Zeitverzögerungen und dem Rückgang der Amplituden. Die Konzentrationen wurden dabei mit Hilfe von Fluoreszenzfarbstoffen gemessen, die untereinander Energie austauschen, wenn sie nahe genug beieinander sind (FRET). Die LMU-Forscher versetzten die beiden DNA-Stränge mit Fluoreszenzfarbstoffen, die nur dann Energie übertrugen, wenn beide Stränge gekoppelt waren. Die Farbstoffe wurden über eine Stroboskoplampe angeregt, und die Fluoreszenzstärke mit einer CCD Kamera aufgenommen. Damit konnten die Biophysiker die Konzentrationsänderungen in der Zelle mit einer räumlichen Auflösung von etwa 500 Nanometer direkt sichtbar machen.

Sie stellten fest, dass DNA-Stränge, die aus 16 Basen-Bausteinen bestehen, im Vergleich zu extern gemessenen Werten in der Zelle etwa siebenmal schneller reagierten, wogegen die Reaktionsgeschwindigkeiten von 12-basiger DNA fünfmal niedriger lagen als außerhalb der Zelle. Dieses Ergebnis widerspricht der bislang vorherrschenden Vermutung, dass molekulare Reaktionen in Zellen wegen der dort vorliegenden hohen Konzentrationen grundsätzlich schneller ablaufen sollten als im Labor. "Offensichtlich modulieren Zellen die Reaktionsgeschwindigkeiten auf hochselektive Art und Weise" sagt Braun. "Die Messungen liefern wertvolle, in vivo gemessene kinetische Daten für die systematische Analyse des komplexen Systems Zelle" ergänzt Ingmar Schön, der die anspruchsvollen Experimente durchgeführt hat. Die Forscher wollen nun eine größere Bandbreite molekularer Reaktionen in lebenden Zellen vermessen.

Ludwig-Maximilians-Universität München


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