01.08.2017

Dauer des Tunneleffekts

Ein Elektron benötigt einige Attosekunden, um eine Energiebarriere zu überwinden.

Der Tunneleffekt spielt nicht nur eine Rolle in Quanten­experimenten, sondern auch beim radio­aktiven Zerfall. Nach der klas­sischen Physik könnten die Teilchen den Energie­wall nicht überwinden und aus dem Kern verschwinden. Nach den Gesetzen der Quanten­physik besteht aber eine gewisse Wahrschein­lichkeit, dass eines der Teilchen den Wall durch­dringen kann. Befindet es sich außerhalb der Barriere, verlässt es den Kern, der damit radioaktiv zerfallen ist. An diesem zufällig auftre­tenden Kern­prozess lässt sich nicht fest­stellen, ob das Teilchen Zeit benötigt oder nicht, um durch den vom Kern aufgebauten Wall zu tunneln. Doch nun hat die Heidel­berger Gruppe einen Tunnel­vorgang gezielt einge­leitet und dessen Dauer ermittelt.

Abb.: Tunneleffekt in einem zirkular polarisierten Laserfeld: Das Elektron befindet sich in einem Potentialtrichter, der vom elektrischen Feld des Atomkerns und dem des Laserimpulses erzeugt wird. Deswegen dreht sich der Trichter. Nach der Laseranregung durchtunnelt das Elektron die Barriere. Rechts: Simple-Man und Wigner-Modell sagen unterschiedliche Elektronenbahnen voraus. (Bild: PRL / MPIK)

In einem Atom erzeugt der Kern ein elek­trisches Feld, das die ihn umgebenden Elektronen einschließt. Die Elektronen befinden sich gewisser­maßen am Fuß eines sehr dicken Energie­walls, weswegen die Wahrschein­lichkeit, diesen zu durch­tunneln, nahezu null ist. Deswegen sind Atome stabil. Wenn die Physiker allerdings einen kurzen Laserpuls auf die Teilchen einstrahlen, überlagert sich dessen periodisch schwingendes elek­trisches Feld dem des Kerns. So verringert es für eine kurze Zeit die Breite des Walls, sodass die Wahrschein­lichkeit, den Wall zu durch­tunneln, für ein gebundenes Elektron sehr groß wird. Tut es dies, so fliegt es vom Laserfeld geleitet fort und wird von einem Detektor nach­gewiesen.

In einem solchen Experiment die Tunnel­zeit zu bestimmen, erfordert jedoch einige Anstren­gungen. Eine Gruppe von Theo­retikern um Karen Hatsa­gortsyan in der Abteilung von Christoph Keitel hat diesen Vorgang zunächst theo­retisch untersucht. Die einfachste Betrachtung nimmt an, dass das Tunneln keine Zeit benötigt, das Elektron also instantan am Tunnel­ausgang und mit der Geschwin­digkeit Null erscheint. Eine zweite Möglich­keit besteht darin, dass das Elektron eine bestimmte Zeit benötigt, um durch die Energie­barriere zu tunneln. Diese Theorie veröffent­lichte 1955 der Physiker und Nobel­preisträger Eugene Wigner.

Zu berechnen, wie viel Zeit ein Elektron nach dem Modell von Eugene Wigner bei ihrem Experiment im Quanten­tunnel verbringen würde, war für die Physiker nicht einfach. „Die quanten­mechanischen Berech­nungen sind sehr aufwendig", sagt Christoph Keitel. „Wir mussten das Wigner-Modell stark weiter­entwickeln und sehr spezi­fische Details unseres Experiments berück­sichtigen." Wie das Ergebnis zeigt, braucht das Elektron eine gewisse Zeit, um die Barriere zu durch­dringen. „Nach unseren Lösungen benötigt das Elektron im Fall des Wigner-Modells im Bereich der verwendeten Laser­intensitäten 80 bis 180 Atto­sekunden, um die Barriere zu durch­tunneln", so Enderalp Yakaboylu, der die Rechnungen ausführte.

Ebenso knifflig wie die Berechnung derart rasanter Vorgänge ist deren Messung. Die Forscher strahlten auf die Atome Laser­pulse, die zirkular pola­risiert waren. Wenn sich ein solches rotie­rendes Laser­feld dem elek­trischen Feld des Atoms überlagert, dreht sich der gesamte Energie­topf, in dem sich die Elektronen befinden. Der Laser­puls regt zudem eines der Elektronen an und startet damit die Zeitmessung. Das Teilchen durch­tunnelt daraufhin die Energie­barriere und tritt an einer bestimmten Stelle aus. Wenn das Elektron hierfür Zeit benötigt, dann hat sich der Energietopf seit dem Start des Tunnel­vorgangs ein wenig weiter­gedreht, und das Elektron tritt an einer anderen Stelle und in einem anderen Winkel aus, als wenn es ohne Zeit­verlust tunneln würde. Diesen winzigen Winkel­unterschied galt es zu messen.

„Eine der größten Heraus­forderungen bestand in der exakten Winkel­messung", sagt Thomas Pfeifer. Vor allem ist es extrem schwierig, den Winkel der Elektron­bahnen absolut zu messen. Dieses Problem umgingen die Physiker mit einem ent­scheidenden Kniff: Sie unter­suchten gleich­zeitig ein Gemisch aus Argon- und Krypton­atomen, die sich in Barrieren­höhe und Tunnel­strecken­länge ein wenig unter­scheiden. Folgen die Elektronen dem Wigner-Modell, absol­vieren sie den Sprint durch den Quantentunnel mit verschiedenen Zeiten, was sich in leicht voneinander ab­weichenden Winkeln der Elektron­flugbahnen äußert. Der Winkel zwischen diesen beiden Flug­bahnen lässt erheblich genauer messen, als der absolute Winkel einer einzigen Flugbahn.

„Wir haben das Gas­gemisch mit 3000 Pulsen pro Sekunde beschossen und konnten Schuss für Schuss ana­lysieren, in welcher Atomsorte der Tunnel­effekt ausgelöst wurde", so Nicolas Camus, der die Messungen durchführte. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Messdaten bestätigen das Wigner-Modell quantitativ und sind mit dem instan­tanen Tunnel­vorgang nicht vereinbar. Damit beenden die Heidel­berger Physiker eine jahrzehnte­lange Diskussion.

MPG / JOL

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