19.06.2015

Dekohärenz durch Gravitation

Einstein und Schrödingers Katze – relativis­tische Zeit­dila­tation kann Quanten­super­posi­tionen auf­heben.

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie feiert dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag. Ein internationales Team um aslav Brukner von der Universität Wien, Igor Pikovski von der Harvard University und Wissen­schaftlern der University of Queens­land haben nun herausgefunden, dass die Relati­vitäts­theorie vielleicht auch ein ganz anderes, ungewöhnliches Phänomen erklären kann: den Übergang von der Quanten­mechanik zu unserer alltäglichen, klassi­schen Welt.

Abb.: Illustration eines Moleküls im Beisein von Zeitdilatation aufgrund eines Schwerfeldes. Das Molekül ist in einer räumlichen Quantensuperposition, aber die Zeitdilatation zerstört diesen Quanteneffekt. (Bild: I. Pikovski, Harvard-Smithsonian Center for Astrophysic)

Wie Einstein herausfand, wird Gravitation durch die Krümmung von Raum und Zeit verursacht. In seiner Theorie ist der Zeitfluss nicht einfach konstant, sondern wird durch Masse beeinflusst. Diese Zeit­dilatation bewirkt, dass sich die Zeit in der Nähe von massiven Objekten verlangsamt. So altern Menschen, die im Erdgeschoss arbeiten, langsamer als ihre Kollegen im ersten Stock, und zwar um etwa zehn Nano­sekunden pro Jahr. Dieser Effekt ist winzig klein, wurde jedoch mit präzisen Atomuhren bestätigt.

Die Quantenmechanik ist neben der Relativitätstheorie die zweite große Entdeckung der Physik des 20. Jahrhunderts. Wenn man die Quantenphysik auf große Skalen überträgt, scheint sie paradox, wie das Beispiel von Schrödingers Katze aufzeigt: Die Quantenphysik sagt vorher, dass die Katze nicht lebendig und auch nicht tot ist, sondern sich in einer Quantensuperposition von beiden Zuständen befindet. Solche Phänomene konnten jedoch bis jetzt nur bei winzigen Teilchen beobachtet werden und nie bei größeren und komplexeren Objekten wie einer Katze. Deswegen sind Physiker überzeugt, dass Quanten­phänomene bei größeren Objekten unterdrückt werden, üblicherweise durch Wechselwirkungen mit anderen Teilchen.

Das Team, geleitet von aslav Brukner von der Universität Wien und dem Institut für Quanten­optik und Quanten­information, fand nun heraus, dass Einsteins Zeit­dilatation auch beim Übergang zur klassischen Physik eine Rolle spielt. Die Forscher berechneten, dass – sobald sich die kleinsten Teilchen zu größeren Objekten wie Molekülen und schließlich zu Staub­teilchen oder Mikro­organismen zusammenfügen – die Zeitdilatation aufgrund der Erde deren Quanten­eigenschaften unterdrücken kann. Die kleinen Teilchen bewegen sich immer ein kleines bisschen. Und dieses „Zittern“ wird durch die Zeit­dilatation beeinflusst: Nahe dem Erdboden wird es langsamer, in größeren Höhen wird es schneller. Wie die Forscher zeigten, zerstört dieser Effekt die Quanten­super­positionen und größere Objekte können sich daher nicht mehr quanten­mechanisch verhalten.

„Es ist recht überraschend, dass die Gravitation eine Rolle für die Quanten­physik spielen kann“, so Pikovski, derzeit am Harvard-Smith­sonian Center for Astrophysics tätig: „Gravitation wird üblicherweise auf astrono­mischen Skalen studiert, aber sie scheint selbst auch für die winzigsten Bausteine der Natur wichtig zu sein.“ Brukner fügt hinzu: „Auf kosmolo­gischen Skalen ist die Gravitation viel stärker, und es ist immer noch eine offene Frage, ob die Resultate auch dort eine Rolle spielen.“ Die Berechnungen der Forscher zeigen, wie größere Teilchen ihre Quanteneigenschaften aufgrund ihrer eigenen Zusammen­setzung verlieren können, wenn man die Zeit­dilatation berück­sichtigt. Dieser Effekt sollte in naher Zukunft auch experimentell messbar sein und damit zu einem besseren Verständnis der Quanten­mechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie beitragen.

U. Wien / DE

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen