Dekohärenz durch Gravitation
Einstein und Schrödingers Katze – relativistische Zeitdilatation kann Quantensuperpositionen aufheben.
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie feiert dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag. Ein internationales Team um aslav Brukner von der Universität Wien, Igor Pikovski von der Harvard University und Wissenschaftlern der University of Queensland haben nun herausgefunden, dass die Relativitätstheorie vielleicht auch ein ganz anderes, ungewöhnliches Phänomen erklären kann: den Übergang von der Quantenmechanik zu unserer alltäglichen, klassischen Welt.
Abb.: Illustration eines Moleküls im Beisein von Zeitdilatation aufgrund eines Schwerfeldes. Das Molekül ist in einer räumlichen Quantensuperposition, aber die Zeitdilatation zerstört diesen Quanteneffekt. (Bild: I. Pikovski, Harvard-Smithsonian Center for Astrophysic)
Wie Einstein herausfand, wird Gravitation durch die Krümmung von Raum und Zeit verursacht. In seiner Theorie ist der Zeitfluss nicht einfach konstant, sondern wird durch Masse beeinflusst. Diese Zeitdilatation bewirkt, dass sich die Zeit in der Nähe von massiven Objekten verlangsamt. So altern Menschen, die im Erdgeschoss arbeiten, langsamer als ihre Kollegen im ersten Stock, und zwar um etwa zehn Nanosekunden pro Jahr. Dieser Effekt ist winzig klein, wurde jedoch mit präzisen Atomuhren bestätigt.
Die Quantenmechanik ist neben der Relativitätstheorie die zweite große Entdeckung der Physik des 20. Jahrhunderts. Wenn man die Quantenphysik auf große Skalen überträgt, scheint sie paradox, wie das Beispiel von Schrödingers Katze aufzeigt: Die Quantenphysik sagt vorher, dass die Katze nicht lebendig und auch nicht tot ist, sondern sich in einer Quantensuperposition von beiden Zuständen befindet. Solche Phänomene konnten jedoch bis jetzt nur bei winzigen Teilchen beobachtet werden und nie bei größeren und komplexeren Objekten wie einer Katze. Deswegen sind Physiker überzeugt, dass Quantenphänomene bei größeren Objekten unterdrückt werden, üblicherweise durch Wechselwirkungen mit anderen Teilchen.
Das Team, geleitet von aslav Brukner von der Universität Wien und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation, fand nun heraus, dass Einsteins Zeitdilatation auch beim Übergang zur klassischen Physik eine Rolle spielt. Die Forscher berechneten, dass – sobald sich die kleinsten Teilchen zu größeren Objekten wie Molekülen und schließlich zu Staubteilchen oder Mikroorganismen zusammenfügen – die Zeitdilatation aufgrund der Erde deren Quanteneigenschaften unterdrücken kann. Die kleinen Teilchen bewegen sich immer ein kleines bisschen. Und dieses „Zittern“ wird durch die Zeitdilatation beeinflusst: Nahe dem Erdboden wird es langsamer, in größeren Höhen wird es schneller. Wie die Forscher zeigten, zerstört dieser Effekt die Quantensuperpositionen und größere Objekte können sich daher nicht mehr quantenmechanisch verhalten.
„Es ist recht überraschend, dass die Gravitation eine Rolle für die Quantenphysik spielen kann“, so Pikovski, derzeit am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics tätig: „Gravitation wird üblicherweise auf astronomischen Skalen studiert, aber sie scheint selbst auch für die winzigsten Bausteine der Natur wichtig zu sein.“ Brukner fügt hinzu: „Auf kosmologischen Skalen ist die Gravitation viel stärker, und es ist immer noch eine offene Frage, ob die Resultate auch dort eine Rolle spielen.“ Die Berechnungen der Forscher zeigen, wie größere Teilchen ihre Quanteneigenschaften aufgrund ihrer eigenen Zusammensetzung verlieren können, wenn man die Zeitdilatation berücksichtigt. Dieser Effekt sollte in naher Zukunft auch experimentell messbar sein und damit zu einem besseren Verständnis der Quantenmechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie beitragen.
U. Wien / DE