Dem Ursprung kosmischer Strahlung auf der Spur
Neue Messungen weisen auf eine Quelle in der Nachbarschaft der Milchstraße hin.
Seit Anfang der 1960er Jahre weiß man von der Existenz hochenergetischer kosmischer Teilchen, die in die Erdatmosphäre eintreten. Seither rätselt die Wissenschaft, woher diese Teilchen kommen und welcher Prozess ihnen die hohe Energie verleiht. Die aktuelle Entdeckung am Pierre-Auger-Observatorium belegt jetzt erstmals einen extragalaktischen Ursprung dieser Teilchen. Die Forscher haben festgestellt, dass die kosmische Strahlung bevorzugt aus einer Richtung in die Erdatmosphäre eintreten, die 120 Grad vom Zentrum der Milchstraße abweicht. Damit können sie nicht aus unserer Galaxie stammen. Ihre eigentliche Quelle lässt sich zwar noch nicht bestimmen, da die Teilchen auf ihrem Weg zur Erde durch galaktische und extragalaktische Magnetfelder stark abgelenkt werden. Aufgrund der Vorzugsrichtung kann ihr Ursprungsort jedoch in der kosmologischen Nachbarschaft der Milchstraße angenommen werden, die eine hohe Dichte von Galaxien aufweist.
Abb.: Hochenergetische kosmische Strahlung erreicht die Erde aus einer Vorzugsrichtung (rot), die aber nicht mit dem Zentrum unserer Milchstraße übereinstimmt. (Bild: Pierre-Auger-Observatorium / KIT)
„In der Astroteilchenphysik sind wir zumeist auf Vermutungen und Indizien angewiesen, jetzt ist erstmals signifikant, dass es eine Vorzugsrichtung gibt, aus der die Strahlung kommt, das bedeutet einen sehr großen Schritt für unsere Forschung“, betont Markus Roth, stellvertretender Leiter der Gruppe Pierre Auger am Institut für Kernphysik des Karlsruhe Instituts für Technologie. „Die kosmischen Strahlen sind Botschafter, durch die wir etwas über den Ursprung des Universums lernen, sie ermöglichen einen Blick zurück in die Geschichte des Kosmos“, so der Physiker.
Die hochenergetische kosmische Strahlung erreicht unsere Erde nur selten, pro Jahr trifft ein Teilchen auf die Fläche eines Quadratkilometers, was nicht einmal einem Einschlag pro Jahrhundert auf einem durchschnittlichen Fußballfeld entspricht. Nachweisen lassen sie sich auf der Erde indirekt: Die kosmische Strahlung selbst dringt nicht bis zum Erdboden vor, sondern stößt in der oberen Erdatmosphäre mit Atomkernen zusammen, wodurch Kaskaden neuer Teilchen – Luftschauer mit mehr als zehn Milliarden Teilchen – entstehen, die auf die Erdoberfläche gelangen. Diese Sekundärteilchen werden mit den Detektoranlagen des Pierre-Auger-Observatoriums gemessen, das eine Fläche von 3000 Quadratkilometern in der argentinischen Pampa bei Malargüe umfasst. Dort fangen 1.660 Wassertanks, die jeweils zwölf Kubikmeter hochreinen Wassers enthalten, sowie 27 Teleskope die indirekten Lichtsignale der Sekundärteilchen auf. Die dabei registrierten Lichtpulse ermöglichen Rückschlüsse auf die Energie und Einfallsrichtung des Ursprungsteilchens.
Abb.: Das Pierre-Auger-Observatorium in der Argentinischen Pampa in der Provinz Mendoza. (Bild: Pierre-Auger-Observatorium / KIT)
Das Pierre-Auger-Observatorium in der Provinz Mendoza in Argentinien ist das weltweit größte Projekt zur Untersuchung hochenergetischer kosmischer Strahlung. Mehr als 400 Wissenschaftler aus 18 Ländern arbeiten in der Forschungs-Kollaboration zusammen. Aus Deutschland sind neben dem KIT die RWTH-Aachen sowie die Universitäten Hamburg, Siegen und Wuppertal beteiligt, wobei das KIT das Projektmanagement des Pierre Auger-Observatoriums inne hat und federführend für den Aufbau der Fluoreszenzteleskope verantwortlich war.
„Seit vier Jahren planen wir die Erweiterung des Observatoriums zu AugerPrime“, sagt Roth. Durch einen zusätzlichen Detektor, der in internationaler Zusammenarbeit am KIT gebaut wird, erwarten die Forscher qualitativ und quantitativ noch präzisere Messungen. Dafür wollen sie ab 2018 Teilchen näher untersuchen, deren Energie zwischen zehn- und hundertmal höher ist. Sie treten mit einer Wucht in die Erdatmosphäre ein, die die Energie eines stark geschlagenen Tennisballs hat. Da sie leichter und energiereicher sind, lassen sie sich auf ihrem Weg zur Erde weniger ablenken, deshalb erwarten die Wissenschaftler durch sie genauere Hinweise auf die Quellregion der hochenergetischen kosmischen Strahlung. „Wir werden in Zukunft einen viel tieferen Einblick in die Geschehnisse des Universums erhalten“, sagt Roth.
KIT / JOL