24.09.2021 • Kernphysik

Den Geheimnissen eines exotischen Kerns auf der Spur

Berechnungen des experimentell schwer zugänglichen Kerns Zinn-100 mit neuesten ab-initio-Methoden liefern verlässliche Ergebnisse.

Das Zinn-Isotop mit der Massen­zahl 100 ist der schwerste mögliche Atomkern mit gleicher Anzahl von Protonen und Neutronen. Die Eigen­schaften dieses Atom­kerns werden als der „Heilige Gral“ der Kern­physik bezeichnet. Da mit den je fünfzig Neutronen und Protonen jeweils Schalen abge­schlossen sind, spricht man auch von „magischen“ Zahlen, und Zinn-100 ist dem­zu­folge ein doppelt magischer Kern. Normaler­weise sind doppelt magische Kerne besonders stabil, aller­dings gilt das für schwere Kerne wie Zinn-100 nur im Vergleich zu ihren Nachbar­nukliden.

Abb.: Das exotische Zinn-100 und einige seiner ge­wo­genen und...
Abb.: Das exotische Zinn-100 und einige seiner ge­wo­genen und be­rech­neten Nach­bar­iso­tope als ver­grö­ßerter Aus­schnitt aus der Nuklid­karte (die blauen offenen Balken mar­kieren die ma­gi­schen Zahlen). Der vio­lette Pfeil zeigt den Zer­fall von Zinn-100 zu Indium-100. (Bild: MPIK)

Zinn-100 ist kurzlebig und zerfällt zu Indium-100 mit 49 Protonen und 51 Neutronen. Dieses extrem exotische Nuklid ist deshalb sehr schwer in aus­rei­chender Menge herzu­stellen und entzieht sich weit­gehend direkten, genauen Messungen. So gibt es bisher in der Literatur lediglich zwei sich wider­sprechende Werte für die Zerfalls­energie von Zinn-100. Um mehr über die Eigen­schaften dieses besonderen Kerns zu erfahren, bieten sich theoretische Berech­nungen an. Aber wie verläss­lich sind die so erhaltenen Werte? Das lässt sich anhand präziser Massen­messungen von in der Nuklid­karte benach­barten Kernen über­prüfen.

Am ISOLDE-Isotopen­separator des CERN gelang es, die eben­falls kurz­lebigen, neutronen­armen Indium-Isotope 99, 100 und 101 – letzteres im Grund- und einem ange­regten meta­stabilen Zustand – herzu­stellen, zu trennen und zum ISOLTRAP-Massen­spektro­meter zu leiten. Dieses besteht aus einem Flugzeit-Instrument und einem nach­ge­schalteten Penning­fallen­system, mit denen die Experi­men­ta­toren die Massen dieser Kerne mit hoher Präzision bestimmten.

Daraus berechneten sie die Bindungs­energien – denn die Masse eines Atom­kerns setzt sich zusammen aus der Summe der Massen der ent­haltenen Nukleonen, sowie der Bindungs­energie. Mit dem Wert für Indium-100 und den Literatur­werten der Zerfalls­energie ergeben sich stark wider­sprüch­liche Werte für die Bindungs­energie von Zinn-100.

Parallel hat das Theorie­team Rechnungen von Indium, Zinn und anderen Atom­kernen um den „Heiligen Gral“ Zinn-100 mit modernsten ab-initio-Methoden und Zwei- und Drei-Teilchen-Wechsel­wirkungen durch­ge­führt. Die Ergeb­nisse aller Methoden für Indium- sowie für neutronen­reichere Zinn-Isotope zeigen jeweils dieselben Trends und stimmen gut mit den experi­men­tellen Daten überein. Das macht die Vor­her­sagen für Zinn-100 ausge­sprochen vertrauens­würdig. Etwas über­raschend unter­stützen sowohl die theore­tischen Vorher­sagen als auch die experi­men­tellen Daten die ältere und nicht die neuere, eigent­lich genauere Zerfalls­energie-Messung.

MPIK / RK

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