Der Böschungswinkel von Sandhügeln
Neues Modell liefert Erkenntnisse für Anwendungen von der Planetenforschung bis zum 3D-Druck.
Eine seit langem bestehende Problemstellung in Naturwissenschaften und Industriepraxis ist die Vorhersage des Böschungs- oder Schüttwinkels für Hügel aus trockenem, zusammenhaltendem körnigem Material. Mithilfe von numerischen, partikelbasierten Simulationen konnten Forscher der Uni Köln ein mathematisches Modell entwickeln und die bislang bestehende Wissenslücke schließen.
„Der Böschungswinkel stellt ein Maß für das Fließverhalten eines Granulats dar“, erläutert Filip Elekes von der Uni Köln. „Je fließfähiger das Granulat, desto kleiner der Böschungswinkel.“ Das Zusammenspiel aus Partikelgröße, Fließverhalten und Schwerkraft ist für verschiedene industrielle Anwendungen von besonderer Wichtigkeit, wie etwa für die additive Fertigung. Auch in Raumfahrt und Planetenforschung wird das Verständnis für granulare Materie und Pulversysteme immer wichtiger. „In Zukunft sollen beispielsweise Bauteile für Raumsonden direkt in der Raumstation oder gar auf der Oberfläche des Mondes oder des Mars gedruckt werden“, so Eric Parteli, der jetzt an der Uni Duisburg-Essen tätig ist.
Für die richtige Wahl der Partikelgröße müssen die Zusammenhänge quantitativ verstanden werden. „Da setzen wir an. Ein mathematisches Modell für den Böschungswinkel als Funktion der Partikelgröße und der jeweiligen Gravitationsbeschleunigung würde Planetenforschern ermöglichen, etwa aus den Hangneigungen einer außerirdischen Sedimentlandschaft auf die Partikelgröße einer Planetenoberfläche zu schließen,“ so Parteli.
Um solch ein Modell zu erzielen, verwendeten die Wissenschaftler in ihrer Arbeit teilchenbasierte numerische Simulationen, auch Diskrete-Elemente-Simulationen genannt. Bei solchen Simulationen werden die Newtonschen Translations- und Rotationsbewegungsgleichungen für jedes einzelne Teilchen numerisch gelöst unter Berücksichtigung eines Modells für die auf die Teilchen wirkenden Kräfte. Diese Kräfte sind die Schwerkraft, die Kontakt- oder Reibungskräfte zwischen den miteinander in Berührung stehenden Partikeln sowie die recht schwach ausgeprägten elektrostatischen Kräfte, die zwischen Molekülen und Atomen stets wirken.
Mit Hilfe der Simulationen erzeugten die Forscher zahlreiche Schüttkegelmodelle aus verschiedenen Kombinationen von Teilchendurchmesser und Gravitationsbeschleunigung, um aus den Ergebnissen dann eine mathematische Gleichung für den Böschungswinkel als Funktion dieser Parameter abzuleiten. „Wir haben dabei den Teilchendurchmesser systematisch von 5fünfzig Mikrometer bis zehn Meter variiert und die Gravitationsbeschleunigung von sechs Prozent der irdischen Schwerkraft, was etwa der Bedingung auf dem Planeten Pluto entspricht, bis hin zum Hundertfachen der Gravitationsbeschleunigung der Erde“, beschreibt Elekes die Bandbreite ihrer Arbeit.
Als Granulat für ihre Simulationen nutzten sie Glaskugeln, da für Glaskugeln zahlreiche experimentelle Ergebnisse zum Böschungswinkel als Funktion des Teilchendurchmessers vorliegen. Mit diesen experimentellen Beobachtungen konnten sie ihr Modell unter irdischer Gravitationsbedingung validieren und eine mathematische Gleichung für den Böschungswinkel als Funktion des Partikeldurchmessers und der Gravitationsbeschleunigung entwickeln.
Ursprünglich hatten sich Elekes und Parteli die folgende Frage gestellt: Sind Sandhügel auf dem Mond aufgrund der dort herrschenden niedrigeren Gravitationsbeschleunigung steiler als auf der Erde? Durch ihre Forschung können sie nun eine klare Antwort geben: Ja. „Ein Sandhügel – zumindest der in der Simulation aus Glaskugeln nachgebaute – ist auf dem Mond etwa zehn Grad steiler als auf der Erde, da auf dem Mond nur 17 Prozent der irdischen Gravitation wirken.“ Auf dem Pluto, wo lediglich sechs Prozent der irdischen Gravitationsbeschleunigung vorhanden sind, wäre ein solcher Schüttkegel sogar zwanzig Grad steiler als auf unserem Planeten. Die beiden Wissenschaftler beobachteten darüber hinaus, dass dieser Unterschied in dem Böschungswinkel für verschiedene Gravitationsbeschleunigungen größer wird, je kleiner der Partikeldurchmesser ist.
U. Köln / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
F. Elekes & E. J. R. Parteli: An expression for the angle of repose of dry cohesive granular materials on Earth and in planetary environments, Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 118, e2107965118 (2021); DOI: 10.1073/pnas.2107965118 - Institut für Geophysik und Meteorologie, Universität zu Köln
Weitere Beiträge
- E. Parteli, Wind in den Dünen (Physik Journal, Juli 2018, S. 18) PDF