Der Dunklen Materie auf der Spur
Weltweit sucht rund ein Dutzend Experimente nach den mutmaßlichen Teilchen der Dunklen Materie. Wie stehen ihre Chancen, sie zu finden?
In der jüngsten Ausgabe von Physik in unserer Zeit beurteilt Manfred Lindner, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und Leiter der dortigen Dunkle-Materie-Forschergruppe von XENON100 und XENON1T, die derzeitige Situation.
Schon seit den 1930-er Jahren gibt es Hinweise darauf, dass der größte Teil, der im Universum vorhandenen Materie unsichtbar ist. Diese überraschende Erkenntnis gewann mit der rasanten Zunahme von Beobachtungsdaten in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung. Insbesondere zeigten sich diese Hinweise auf unterschiedlichen kosmologischen Größenskalen.
Bald wurde auch klar, dass konventionelle Erklärungsversuche wie planetenartige Körper, Braune Zwerge oder Schwarze Löcher, die schon in geringer Entfernung nicht mehr nachweisbar sind, nicht die Lösung sein können. Eine beachtliche Reihe von Indizien ergibt inzwischen ein konsistentes Bild: Nur etwa 4 % der insgesamt im Universum vorhandenen Materie besteht aus gewöhnlicher, baryonischer Materie, während etwa 25 % aus einer bisher nicht bekannten Form von Dunkler Materie besteht. Weitere 70 % liefert die Dunkle Energie, die in der einfachsten Form der von Einstein eingeführten, aber dann verworfenen Kosmologischen Konstante entsprechen könnte.
Die Natur der Dunklen Materie und Dunklen Energie zählt heute zu den spannendsten ungelösten Fragen der Grundlagenphysik. Prinzipiell ist auch eine Veränderung des Gravitationsgesetzes denkbar, aber bisherige Ansätze sind nicht in der Lage, alle Effekte konsistent zu beschreiben. Die derzeit favorisierte Hypothese sagt eine neue und unsichtbare Teilchensorte voraus. Diese Hypothese wird durch verschiedene Indizien gestützt. So kommen Teilchen mit den geeigneten Eigenschaften in notwendigen Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik vor. Zudem führt die Einführung sogenannter WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) im Urknall automatisch in etwa zur beobachteten Menge an Dunkler Materie.
Zurzeit läuft weltweit ein Wettrennen zum direkten Nachweis von WIMPs. Dieser ist allerdings sehr schwierig. Die Raten, mit denen diese Teilchen an typischen Detektoren streuen sollten, sind um viele Größenordnungen kleiner als der Untergrund. Letzterer stammt zum Beispiel von Teilchen der kosmischen Strahlung oder vom natürlichen Zerfall radioaktiver Elemente. Daher müssen Detektoren aus extrem reinen Materialien gebaut werden und sich zur Abschirmung vor der kosmischen Strahlung tief unter der Erde befinden.
In den letzten Jahren wurden in der Messtechnik enorme Fortschritte erzielt. Mit jeder Verbesserung der Messgenauigkeit muss man aber bei einem auftretenden Signal vorsichtig sein, weil es sich um einen neuartigen, bisher unbekannten Untergrund handeln könnte. Experimente, die dagegen keine Ereignisse registrieren, sind leichter zu interpretieren: Eine Nullmessung schließt sowohl neue Untergründe als auch ein Signal aus und muss also nicht weiter analysiert und interpretiert werden.
Zwei Kristalle, wie sie im Dunkle-Materie-Experiment CESST verwendet werden (Foto: MPI für Physik).
Aktuell gibt es drei Experimente, die Ereignisse mit einer Rate sehen, die oberhalb des angegebenen Untergrunds liegen. Über eines von ihnen, das im Gran-Sasso-Untergrundlabor arbeitende Experiment CRESST, berichtet Michael Kiefer in Physik in unserer Zeit. Allerdings liegen die gemessenen Ereignisse der drei Experimente in sich gegenseitig ausschließenden Parameterbereichen. Erschwerend kommt hinzu, dass zwei andere Experimente (XENON100 und CDMS) in diesen Bereichen keine Ereignisse sehen. Wie lässt sich das erklären?
Eine konsistente Lösung wäre, dass zwei Experimente einen unverstandenen Untergrund messen, während das dritte Signal tatsächlich von speziellen WIMPs herrührt. Diese müssten dann aber sehr ungewöhnliche Eigenschaften besitzen, so dass sie sowohl für XENON100 als auch für das unterschiedlich funktionierende CDMS Experiment unsichtbar sind. Ganz ausschließen lässt sich das nicht, weil beispielsweise CRESST den Lichtblitz und die Wärmeentwicklung misst, die ein WIMP bei Kollision mit einem Atom im Detektor erzeugt. XENON100 hingegen misst den Lichtblitz und die erzeugte Ionisierungsrate. Die andere Lösung mit weniger speziellen Annahmen ist, dass keines der bisher gesehenen Signale von WIMPs stammt.
Im Moment ist es für definitive Schlussfolgerungen noch zu früh. Weitere Daten sind zur Klärung der derzeitigen Umgereimtheiten nötig. Es wird aber fieberhaft an immer besseren Detektoren gearbeitet, die einen großen Teil des theoretisch erwarteten WIMP-Bereichs immer zuverlässiger abdecken. In den kommenden zehn Jahren sollte es sich entscheiden, ob WIMPs die Erklärung für Dunkle Materie sind oder ob ein noch exotischeres Phänomen dahinter steckt.