21.10.2011

Der Knick im Knie

Ein Knick im Energiespektrum der kosmischen Strahlung tritt für leichte und schwere Teilchen bei unterschiedlichen Energien auf.

Schon seit Jahren beschäftigen sich Astroteilchenphysiker mit der Frage, wie das „Knie“, ein Knick im Energiespektrum der kosmischen Strahlung, zustande kommt. Für leichte Elemente wie Wasserstoff lieferte das Experiment Kascade auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) wichtige Hinweise. Mit der Erweiterung zu Kascade-Grande konnten die Wissenschaftler nun Teilchen mit zehnmal höherer Energie und damit das komplette Knie vermessen: Das Knie setzt sich aus mehreren Knicks zusammen, mit höherer Energie verschwinden immer schwerere Elemente aus dem Spektrum der kosmischen Strahlung.

Abb.: Kosmische Strahlung löst in der Erdatmosphäre Schauer von Teilchen aus, die am Erdboden mit dem Experiment Kascade-Grande nachgewiesen werden. (Bild: T. O. Roth, KIT)

Kascade-Grande ist ein Messfeld für kosmische Strahlung auf dem Gelände des Campus Nord des KIT. Auf einer Fläche von 700 mal 700 Quadratmetern stehen 37 Detektorstationen. „Kascade-Grande erweitert den Messbereich des Experiments um einen Faktor 10“, stellt Andreas Haungs fest, der das Projekt im KIT leitet. „Wir können nun Teilchenschauer messen, die von kosmischen Teilchen mit Energien bis 1018 Elektronenvolt erzeugt wurden.“ Dieser Wert liegt um den Faktor Hundert über den Energien, die die zurzeit größten Teilchenbeschleuniger auf der Erde erreichen.

Die Teilchenschauer entstehen, wenn die primären Teilchen der kosmischen Strahlung auf Atome der Erdatmosphäre treffen und aufgrund ihrer hohen Energie Sekundärteilchen erzeugen. Diese erschaffen eine weitere Generation an Teilchen, die wiederum selbst weitere Teilchen generieren – eine Kaskade der Teilchenerzeugung ist in Gang gesetzt. Deren Schauer trifft nach einigen Millisekunden den Erdboden und kann dort gemessen werden. „Die Primärteilchen, massive Atomkerne, die sehr unterschiedliche Energien haben, können aufgrund ihres geringen Flusses nicht direkt mit Ballon- oder Satellitenexperimenten gemessen werden“, erläutert Andreas Haungs. „Bei nur einem Teilchen pro Quadratmeter und Tag sind wir auf Beobachtungen am Boden angewiesen.“ Energie, Richtung und Masse des Primärteilchens bestimmen die Forscher von der Erde aus.

Abb.: Das Knie der kosmischen Strahlung, ein Knick im Energiespektrum, tritt für leichte und schwere Teilchen bei unterschiedlichen Energien auf. (Bild: KIT)

Der Fluss der kosmischen Strahlung – der Primärteilchen, die wohl überall im Universum zu finden sind – nimmt mit zunehmender Energie der Teilchen stark ab. Etwas oberhalb einer Energie von 1015 Elektronenvolt ändert sich die „Steilheit“ der Energieabnahme: Dadurch entsteht ein Knick im Spektrum, der als Knie bekannt ist. Schon mit dem ursprünglichen Kascade-Experiment zeigten Forscher, dass die kosmische Strahlung im Energiebereich bis 1017 Elektronenvolt nicht aus Photonen, sondern aus Atomkernen besteht. Die Teilchen fallen aus allen Richtungen gleich häufig ein – die Strahlung ist isotrop. Außerdem gab es Hinweise, dass der erste Bereich des Knies durch fehlende leichte Primärteilchen entsteht und sich mit der Masse der Primärteilchen zu höheren Energien verschiebt. Dies wurde nun durch die Erweiterung des Energiebereichs mit Kascade-Grande bestätigt: Der Knick für Eisenkerne liegt bei knapp 1017 Elektronenvolt.

„Aus den Ergebnissen können wir schließen, dass die primären Partikel der kosmischen Strahlung nur bis zu Energien um 1017 Elektronenvolt in unserer Milchstraße erzeugt und gespeichert werden“, sagt Andreas Haungs. „Teilchen mit noch höherer Energie haben demnach ihren Ursprung außerhalb der Milchstraße.“ Diese noch energiereicheren Teilchen der kosmischen Strahlung werden vom Pierre Auger Observatorium in Argentinien vermessen, an dessen Aufbau und wissenschaftlicher Auswertung das KIT ebenfalls beteiligt ist.

KIT / PH

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