10.08.2020

Der Kosmos ist zu homogen

Daten des Kilo-Degree-Survey zeigen Abweichung der Materieverteilung vom kosmologischen Standardmodell.

Aktuelle Ergebnisse des Kilo-Degree-Survey haben ergeben, dass die Materie im Universum um etwa zehn Prozent gleichmäßiger verteilt ist als vom Standard­modell der Kosmologie vorhergesagt. Ein internationales Team, geleitet von Astronomen aus den Niederlanden, Schottland, England und Deutschland – unter Beteiligung der Ruhr-Universität Bochum – beschreibt die Ergebnisse in fünf nun erscheinenden Artikeln. 

Abb.: Die Materie­verteilung in einem Ausschnitt des Universums, aufgenommen...
Abb.: Die Materie­verteilung in einem Ausschnitt des Universums, aufgenommen im Rahmen des Kilo-Degree-Surveys (Bild: B. Giblin, K. Kuijken, KiDS)

Die Daten wurden mit dem Very Large Telescope Survey Telescope (VST) des European Southern Observatory auf dem Cerro Paranal in Nordchile aufgezeichnet. Die so entstandene Himmels­karte deckt fünf Prozent des extragalaktischen Himmels ab und umfasst 31 Millionen Galaxien, die alle in die Analyse eingingen. Sie sind bis zu zehn Milliarden Licht­jahre entfernt, ihr Licht wurde ausgesendet, als das Universum nur rund ein Viertel so alt war wie heute.

Anhand der Galaxien erstellte das Forschungs­konsortium eine Karte mit der Materie­verteilung im Universum. Dazu nutzten die Wissenschaftler den schwachen Gravitations­linsen­effekt: Das Licht von fernen Galaxien wird auf dem Weg zur Erde durch die Gravitations­wirkung großer Materie­ansammlungen wie Galaxien­haufen abgelenkt und verzerrt. Basierend auf diesem Effekt lässt sich die Klumpungs­tendenz der Materie bestimmen – und zwar der sichtbaren Materie, der Gase und der nicht sichtbaren dunklen Materie, welche etwa 85 Prozent der Gesamt­materie im Universum ausmacht.

Im Lauf der Zeit sorgt die Gravitation der Materie dafür, dass das Universum immer weniger homogen wird. Gebiete, die etwas mehr Masse als der Durchschnitt besitzen, ziehen Materie aus ihrer Umgebung an. So werden die Unterschiede in der Verteilung immer größer. Gleichzeitig wirkt die Expansion des Universums diesem Effekt entgegen. Beide Prozesse werden von der Schwer­kraft angetrieben und eignen sich somit dafür, um das Standard­modell der Kosmologie auf den Prüfstand zu stellen. Die Gleichungen sagen präzise voraus, wie sehr die Materie­dichte sich im Lauf der Zeit ändern wird.

Allerdings offenbaren die Daten des Kilo-Degree Survey eine Diskrepanz: Das Universum ist um zehn Prozent homogener, als es nach dem Standard­modell sein dürfte. „Das Standard­modell der Kosmologie beschreibt seit zwanzig Jahren alle kosmologischen Beobachtungen, die wir machen. Dabei ist es aber etwas unbefriedigend, dass man mysteriöse Substanzen wie dunkle Materie und dunkle Energie annehmen muss. Darum versuchen wir, dieses Modell, so gut es geht, zu testen“, sagt Hendrik Hildebrandt, Leiter der Gruppe beobachtende Kosmologie an der Ruhr-Universität Bochum.

Die aktuelle Analyse könnte darauf hinweisen, dass das Standard­modell Risse bekommt. Es ist nicht die erste Unstimmigkeit, auch die Hubble-Konstante, die die Expansionsrate des Universums repräsentiert, passt nicht zu den Vorhersagen des Modells. „Diese Diskrepanzen könnten natürlich von systematischen Mess­fehlern hervorgerufen werden“, räumt Catherine Heymans (University of Edinburgh) ein, die zusammen mit Hendrik Hildebrandt das German Centre for Cosmological Lensing an der RUB leitet, wo sie auch eine Gast­professur innehat. „Aber die Messungen werden immer genauer, sodass das immer unwahrscheinlicher wird“, so Heymans weiter.

Ob das Standardmodell letztendlich durch eine komplett neue Theorie abgelöst werden muss, zum Beispiel indem Einsteins Allgemeine Relativitäts­theorie ersetzt wird, können die Forscher noch nicht abschätzen. „Es gibt viele Theorien, die versuchen, die Messungen mit neuer Physik zu erklären“, so Hendrik Hildebrandt. „Als beobachtender Kosmologe versucht man, dabei unparteiisch zu bleiben und die Messungen ohne theoretische Vorurteile so genau wie möglich zu machen. Eins ist klar, wir leben in spannenden Zeiten!“ In ein bis zwei Jahren wird die finale Karte des Kilo-Degree Survey vorliegen, mit allen Beobachtungen, die in dem Projekt gemacht wurden. Sie wird noch einmal dreißig Prozent größer sein als die aktuelle Karte.

Der Kilo-Degree Survey ist ein internationales Projekt, das von Astronomen in den Niederlanden, Schottland, England und Deutschland geleitet wird. Weitere Partner kommen aus Italien, Australien, Polen, den USA und China. Zwei weitere Projekte, ein US-amerikanisches und ein japanisches, arbeiten derweil an ähnlichen Analysen basierend auf Beobachtungs­daten. Ab 2022 wird noch bessere Messtechnik zur Verfügung stehen: das Rubin-Teleskop, das sechzigmal leistungs­fähiger ist als das VST, und der Euclid-Satellit, der außerhalb der Atmosphäre wesentlich schärfere Bilder wird aufnehmen können als die erd­gebundenen Teleskope. Viele Mitglieder des Kilo-Degree-Survey-Konsortiums werden auch an diesen Projekten beteiligt sein.

RUB / DE
 

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