Der Stoff, aus dem die Sterne sind
Uni Kassel eröffnet neues Labor, in dem die Wissenschaftler interstellare Materie erzeugen können.
Temperaturunterschiede von mehreren Tausend Grad und Vakuum: Unter extremen Bedingungen entstehen ganz besondere Moleküle. Diese Bedingungen gibt es nur im All – und bald in einem Labor der Universität Kassel. Zum Beginn des Wintersemesters hat die neue Fachgruppe Labor-Astrophysik ihre Arbeit aufgenommen. Sie schließt eine Lücke im Angebot der Universität. Anders als bei den sonstigen naturwissenschaftlichen Studienfächern gab es im Bereich Astrophysik bislang nur ein theoretisch orientiertes Studienangebot. Anfang Februar 2013 werden die Instrumente für das Labor am Standort Oberzwehren geliefert, bald darauf soll das Laboratorium in Betrieb gehen.
Dort wird dann unter Bedingungen Materie erzeugt, wie sie sonst im interstellaren Raum vorherrschen. „Wir untersuchen die Komplexität organischer Moleküle im Weltraum“, sagt Prof. Dr. Thomas Giesen, der die Forschergruppe leitet. „So wollen wir erklärbar machen, wie Sterne entstehen und vergehen.“
Statt wahllos im All nach bislang unbekannten Teilchen Ausschau zu halten, verfolgen die Kasseler Wissenschaftler den umgekehrten Ansatz. Sie erzeugen in ihren Apparaturen für einige Mikrosekunden Moleküle, die unter normalen Umständen auf der Erde nicht vorkommen, und untersuchen sie spektralanalytisch. Diese spezifischen Muster finden sich auch in Strahlung, wie sie Molekülwolken werdender oder sterbender Sterne in entfernten Galaxien aussenden. Spezielle Teleskopen fangen sie auf – so lässt sich überprüfen, ob die in Kassel erzeugten Moleküle im All vorkommen oder nicht. Verzeichnen die Forscher einen Treffer, können sie Rückschlüsse ziehen auf chemische Prozesse, die dort ablaufen. Die Kasseler Astrophysiker arbeiten dafür unter anderem zusammen mit dem Stratosphären-Observatorium SOFIA, einem fliegenden Teleskop der NASA und des DLR, das an Bord einer umgebauten Boeing 747 installiert ist.
Die aussagekräftige Strahlung erreicht die Erde mit Terahertz-Wellenlängen. Untersuchungen dieses Bereichs in ähnlicher Qualität gab es in Deutschland bislang nur in Köln, nun auch in Kassel; weltweit leisten dies nur etwa 15 Forschergruppen. Dabei sind die Wissenschaftler stark vernetzt. So bilden die Forscher der Uni Kassel einen Verbund mit Kollegen aus Köln, Paris und Saskatoon, Kanada, um Erkenntnisse über den Ursprung von Himmelskörpern zu erlangen; dabei nutzen sie beispielsweise den Teilchenbeschleuniger SOLEIL in der Nähe von Paris. „Letztlich geht es auch um die Frage, wie in der Folge von Sternengeburten Planeten entstehen und ob unsere Erde eine einzigartige Ausnahme ist. Und wir erwarten Hinweise, wo die Schnittstelle zwischen unbelebter Materie und dem Leben liegt“, hofft Giesen.
Er erwartet, dass sein Team zwei bis drei neuartige Moleküle pro Jahr im Labor herstellt. Nach seiner Einschätzung sollten sich mehr als die Hälfte der so erzeugten Moleküle später im All feststellen lassen. In der Vergangenheit war der Astrophysiker bereits an der Entdeckung von mehr als zwanzig Molekülen im All beteiligt.
U. Kassel / OD