02.01.2017

Der Weltraum schwingt

Jahresrückblick Astrophysik, Astronomie und Kosmologie 2016.

Es war die astrophysikalische Sensation des Jahres: Am 11. Februar gab das LIGO-Team den ersten direkten Nachweis von Gravitations­wellen bekannt. Bereits am 14. September des Vorjahres hatten die beiden LIGO-Detektoren in den USA das Ereignis nahezu zeitgleich registriert. Erste Gerüchte machten früh die Runde, doch die beteiligten Forscher hielten sich bedeckt – angesichts ihrer Bedeutung sollte die Meldung der Entdeckung un­anfechtbar sein. Schließlich präsentierte das LIGO-Team das 0,2 Sekunden dauernde Signal mit einer Signifikanz von über fünf Sigma. Die Form des Signals entsprach exakt den Vorhersagen numerischer Simulationen für die Kollision und Verschmelzung zweier schwarzer Löcher. Die beste Anpassung an die Simulationen ergibt sich für die Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern mit der 29-fachen und der 36-fachen Sonnen­­masse in 1,3 Milliarden Licht­jahren Entfernung. Dabei ist ein schwarzes Loch mit der 62-fachen Sonnen­masse entstanden – drei Sonnen­massen wurden in Form von Gravitations­wellen als Energie abgestrahlt.

Abb.: Dreidimensionale Simulation der Gravitationswellen von zwei schwarzen Löchern, die sich auf einer engen Bahn umkreisen. (Bild: C. Henze, NASA)

Bereits im Juni gab das LIGO-Team den Nachweis eines zweiten Gravitations­wellen-Signals bekannt, empfangen am 26. Dezember 2015. Das im Vergleich deutlich schwächere Signal wurde von schwarzen Löchern mit 8 und 14 Sonnen­massen verursacht, die zu einem schwarzen Loch mit 21 Sonnen­massen verschmolzen sind. Damit hat LIGO ein neues Fenster zum Kosmos aufgestoßen: Die Forscher rechnen mit dem Nachweis vieler weiterer ähnlicher Ereignisse – insbesondere wenn die Detektoren erst ihre volle Empfindlich­keit erreicht haben –, die neue Einblicke in die Entwicklung massereicher Sterne und exotischer Materie­zustände liefern können.

So simulierten Krzysztof Belczynski von der Universität Warschau und seine Kollegen beispielsweise zwanzig Millionen Doppel­sterne von der Zündung der Kern­fusion über den Kollaps zu schwarzen Löchern bis zur deren Verschmelzung. Dann verglichen sie die Ergebnisse mit den aus dem ersten LIGO-Signal abgeleiteten Daten für die schwarzen Löcher. Am wahrscheinlichsten ist demnach ein System aus einem Stern mit der 40- bis 100-fachen Sonnen­masse und einem Stern mit der 40- bis 80-fachen Sonnen­masse als Vorgänger­system der beiden schwarzen Löcher.

Luciano Rezzolla von der Uni Frankfurt und Cecilia Chirenti von der Universität in Sao Paolo nahmen noch einmal die genaue Form des Signals unter die Lupe, insbesondere die Abkling­phase des Ereignisses. Denn die Frequenzen der Abklingphase sind eine Art Finger­abdruck der Quelle der Gravitations­wellen – hier ließen sich am ehesten Abweichungen von der Theorie aufspüren. Wenn etwa Quanten­effekte den Kollaps zu einem schwarzen Loch aufhalten, könnte stattdessen ein Grava­stern aus exotischer Materie entstehen – nahezu so kompakt wie ein schwarzes Loch, aber ohne Ereignis­horizont. Doch wie Rezzolla und Chirenti zeigen konnten, passt eine Grava­stern-Verschmelzung nicht zu der Form der Signale – die LIGO-Signale sind also nicht durch Grava­sterne verursacht.

Die Beobachtung von Gravitations­wellen könnte auch helfen, das Rätsel der dunklen Materie zu lösen, wie Forscher des MPI für Kern­physik zeigen. Bilden die Teilchen der dunklen Materie nämlich ein Bose-Einstein-Kondensat, so bremst dieses die Gravitationswellen ab. Ließe sich also ein Gravitations­wellen-Ereignis, das von der Erde aus gesehen hinter einer Galaxie stattfindet, auch mit Neutrinos oder im Gamma­bereich beobachten, so könnten die Forscher anhand der Zeit­unterschiede der Signale entscheiden, ob die dunkle Materie aus einem Bose-Einstein-Kondensat besteht oder nicht.

Nachbarn im All

Exoplaneten, Exoplaneten, Exoplaneten – Gerüchten zufolge stößt so manchem Astro­physiker die Dominanz dieses neuen Forschungsfeldes auf Tagungen und vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung inzwischen schon ein wenig sauer auf. Aber es ist nun einmal die Suche nach einer „zweiten Erde“ und die Frage, ob wir allein im All sind oder ob da draußen noch andere intelligente Wesen existieren, die die Phantasie der Menschen am stärksten anregt. So sorgte wenig über­raschend insbesondere die Entdeckung eines Planeten in der lebensfreundlichen Zone um Proxima Centauri – unserem nächsten stellaren Nachbarn im All – für einiges Aufsehen. Im Gegensatz zu anderen Exoplaneten, die Hunderte oder gar Tausende von Lichtjahren entfernt sind, erscheint der vier Lichtjahre entfernte Proxima Centauri b fast schon erreichbar. Tatsächlich plant die vom russischen Milliardär Juri Milner finanzierte Initiative „Breakthrough Starshot“ die Entsendung von Nanosonden in das Nachbar­system.

Abb.: So könnte es auf dem Planeten Proxima Centauri b aussehen (künstlerische Darstellung; Bild: M. Kornmesser, ESO)

Die bislang besten Kandidaten für die Suche nach Leben jenseits des Sonnensystems umkreisen jedoch den vierzig Lichtjahre entfernten Zwergstern 2MASS J23062928-0502285. Die drei mit dem TRAPPIST-Teleskop am La-Silla-Observatorium der ESO entdeckten Planeten sind ähnlich groß wie die Erde. Zwei der Planeten haben Umlauf­perioden von etwa 1,5 Tagen und 2,4 Tagen, der dritte Planet hat eine weniger gut bestimmte Umlaufdauer im Bereich zwischen 4,5 und 73 Tagen. Obwohl sie den Zwerg­stern sehr eng umkreisen, erhalten die inneren zwei Planeten nur das Vier- und das Zweifache der Menge an Strahlung, die auf die Erde trifft, da ihr Stern deutlich lichtschwächer als die Sonne ist. Sie befinden sich damit zwar näher am Stern als die habitable Zone, trotzdem könnte es lebens­freundliche Regionen auf ihren Oberflächen geben. Über die Umlaufbahn des äußeren Planeten ist weniger bekannt, er erhält vermutlich weniger Strahlung als die Erde, könnte aber innerhalb der habitablen Zone liegen.

Insgesamt haben Astronomen inzwischen über 3500 Planeten bei anderen Sternen nachgewiesen. Inzwischen steht daher nicht länger die Entdeckung, sondern die – zumeist indirekte – Beobachtung der physikalischen Eigenschaften der Exoplaneten im Vordergrund. Insbesondere bei Planeten, die aufgrund der Lage ihrer Umlauf­bahn von der Erde aus gesehen vor und hinter ihrem Stern vorüberziehen, liefert absorbiertes und reflektiertes Sternen­licht Informationen über die Atmosphäre. Unterschiede zwischen Atmosphären­modellen und Beobachtungen könnten künftig Hinweise auf geologische und sogar biologische Prozesse liefern.

Doch die komplexe Atmosphärenchemie macht die Modellierung extrem aufwändig – bisher. Das könnte sich durch eine Idee von Kevin Heng von der Uni Bern künftig ändern. Dem Forscher gelang es ganz unerwartet, das System gekoppelter nicht­linearer Gleichungen „von Hand“ zu entkoppeln. Dadurch reduziert sich das System auf eine einzige Polynom­gleichung – und die Rechenzeit für ein Atmosphärenmodell von Minuten auf Millisekunden. Dank dieser gewaltigen Beschleunigung lassen sich die verschiedenen Möglichkeiten bei der Interpretation der Spektren der Planeten­atmosphären künftig gründlicher untersuchen.

Blick durch den Staub

Als wichtiges Instrument zur Untersuchung insbesondere der Entstehung von Planeten­system erweist sich – erwartungs­gemäß – immer mehr ALMA, das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array, die aus 66 Antennen bestehende inter­nationale Radio­teleskop­anlage in Chile. So lieferten ALMA-Messungen an der 400 Lichtjahre entfernten Rho-Ophiuchus-Stern­entstehungs­region den paradoxen Befund, dass der Staub in der aufgrund ihres Aussehens als „fliegende Unter­tasse“ bezeichneten proto­planetaren Scheibe kälter ist als die direkt dahinter liegenden Molekül­wolken. Da die Scheibe von ihrem Zentral­stern erwärmt wird, deutet dies auf ungewöhnliche Eigenschaften des Staubs. Es könnte sich beispielsweise um poröse Zusammen­schlüsse aus kleineren kompakten Körnern handeln.

Abb.: Das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array ALMA unter dem südlichen Sternenhimmel. (Bild: B. Tafreshi, ESO)

Und das hat möglicherweise erhebliche Konsequenzen für die Planeten­entstehung, da die Verklumpung der Staub­körner der erste Schritt dieses Prozesses ist. Auch für die Entstehung von Leben könnte die Struktur des Staubs wichtig sein, da die Ober­flächen der Staubkörner Miniatur-Laboratorien sind, in denen sich selbst kompliziertere organische Verbindungen bilden können.

Auch in die nächste Phase der Planetenentstehung, der Bildung immer größerer Gesteins­brocken, lieferte ALMA neue Einblicke. Aufnahmen des jungen Sterns Elias 2-27, ebenfalls in der Rho-Ophiuchus-Stern­entstehungs­region gelegen, zeigen erstmals eine spiralförmige Struktur in einer proto­planetaren Scheibe. Das ist zugleich der erste direkte Hinweis auf spiral­förmige Dichte­wellen in einer solchen Gas- und Staub­scheibe. Diese Dichtewellen können innerhalb der Scheibe zu Instabilitäten führen und damit in Teilgebieten zu einer deutlich größeren Dichte. Dies kann die Bildung von Planeten­bausteinen aus den Gesteins­brocken auslösen. Ohne einen solchen Prozess würden meter­große Körper durch Reibung abgebremst in den Zentral­stern fallen und es könnten keine Planeten entstehen.

ALMA ist auch in anderen Bereichen erfolgreich, etwa in der Erforschung aktiver Galaxien­kerne. So zeigen Beobachtungen der Galaxie W2246-0526 die stürmische Geburt eines Quasars. W2246-0526 ist die leucht­kräftigste uns bekannte Galaxie im Universum – und sie ist ein HotDOG, eine Hot Dust-Obscured Galaxy. Der zwischen der Infrarot-Strahlung und der traditionellen Radio­strahlung liegende Wellenlängen-Bereich von ALMA eignet sich besonders gut, um dichte Staub­schleier zu durchdringen – und so gelang den Forschern erstmals ein tiefer Blick in das Innere von W2246-0526. Sie fanden große Mengen inter­stellarer Materie in einem extrem dynamischen Stadium, die mit etwa zwei Millionen Kilometern pro Stunde durch die Galaxie rast. Ursache der Dynamik dürfte die immense Leucht­kraft des Galaxien­kerns sein, einer Akkretions­scheibe um ein super­massives schwarzes Loch. Der enorme Strahlungs­druck treibt das Gas aus der Galaxie heraus und verwandelt den HotDOG so mittel­fristig in einen normalen Quasar.

Rainer Kayser

DE

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