09.01.2007

Deutscher Mini-Reaktor in Südafrika

Die in Deutschland ausgemusterte Kugelhaufenreaktor-Technologie bekommt Jahrzehnte später eine zweite Chance in Südafrika.

Frankfurt/Main (dpa) - Eine in Deutschland ausgemusterte Atomreaktor-Technologie bekommt Jahrzehnte später eine zweite Chance in Südafrika. Der Kap-Staat sicherte sich Mitte der 90er Jahre die Lizenzen und steht nach Jahren der Weiterentwicklung nun kurz vor dem Bau seines ersten Mini-Reaktors mit Namen PBMR (Pebble Bed Modular Reactor - Kugelhaufenreaktor). «Wir übernehmen gerne, was ihr Deutschen nicht mehr haben wollt», sagt der Chef des gleichnamigen Unternehmens PBMR, Jaco Kriek. In Südafrika setzt man große Hoffnung in den Atommeiler. Von 2018 an soll die Technologie weltweit exportiert werden. Unabhängig davon entwickelt auch China einen Kugelhaufenreaktor nach deutschem Vorbild.

In Deutschland war das Projekt Kugelhaufenreaktor verworfen worden, noch bevor der Atomausstieg 2002 gesetzlich verankert wurde. In den 50er Jahren hatte ihn Rudolf Schulten als Hochtemperaturreaktor (HTR) erfunden. Ein Testreaktor wurde Mitte der 60er Jahre im Kernforschungszentrum Jülich gebaut, knapp 20 Jahre später ging in Hamm-Uentrop eine kommerzielle Variante ans Netz. Dann kam das Aus: Im Herbst 1988 wurde der Reaktor für eine Inspektion abgeschaltet und nicht wieder angefahren. An ihm waren einige kleinere Schäden gefunden worden, die allerdings als nicht sicherheitsrelevant eingestuft wurden.

Als Vorzug des Reaktortyps wird die Eigenschaft genannt, sich im Störfall ohne zusätzliche und anfällige Sicherheitssysteme konstruktionsbedingt selbst abzuschalten. Die Spaltelemente stecken mehrfach ummantelt in den hitzebeständigen Graphitkugeln - ein Pluspunkt auch für die spätere Endlagerung.

Die Vorteile, die die Hersteller des PBMR neben der inhärenten Sicherheit anpreisen: Der Kugelhaufenreaktor ist vergleichsweise klein und modulartig aufgebaut, er kann dezentral und damit weitgehend netzunabhängig eingesetzt werden. Die anfallende Prozesswärme soll etwa für Meerwasser-Entsalzungsanlagen oder die Gewinnung des Energieträgers Wasserstoff genutzt werden.

Der Brennstoff in dem Reaktor ist in tennisballgroßen Graphitkugeln eingebettet, in denen sich jeweils rund 15 000 winzige, aus Sicherheitsgründen vierfach ummantelte Uranoxid-Körner befinden. Im rund 20 Meter hohen röhrenförmigen Reaktorkessel, der innen mit einer Graphitschicht geschützt ist, liegen rund 450 000 dieser Kugeln. Sie können im Betriebszustand automatisch zugegeben oder entnommen werden. Die Wärme, die bei der Kernspaltung der Uran-Atome im Inneren der Kugeln entsteht, wird genutzt, um Helium, das durch den Kessel geleitetet wird, auf ein Temperatur von 900 Grad Celsius aufzuheizen. Anschließend wird das Helium zur Erzeugung von Strom durch eine Gasturbine geleitet.

Dass die Deutschen diese Technologie verkauft haben, erntet in Südafrika Kopfschütteln. Und nicht nur dort. «Es ist ein substanzieller Fehler», sagt der Chef des Wiesbadener Kohlenstoff-Experten SGL Carbon, Robert Koehler. «Die ganze Welt geht in Richtung Nuklearenergie - und Deutschland steckt den Kopf in den Sand.» SGL hat Interesse am PBMR: Es liefert die innere Graphit-Ummantelung des PBMR, die zentrale Graphitsäule und Graphit für die 450 000 Kugeln. Allein für den Testreaktor hat der Graphit-Auftrag für SGL einen Wert von 35 bis 40 Millionen Euro. «Die Chinesen haben angekündigt, innerhalb der nächsten 20 Jahre ebenfalls bis zu 80 Kugelhaufenreaktoren zu bauen und wir sind mit ihnen im Gespräch», sagt Koehler.

Kritische Stimmen äußern neben prinzipiellen Bedenken gegen Kernenergie auch Kritik speziell am PBMR. Zweifel gibt es etwa an der Wirtschaftlichkeit der Technologie. Der Reaktor sei - auch vom Sicherheitsaspekt her - darauf ausgelegt, nicht mehr als 165 Megawatt Strom zu produzieren, sagt der Sicherheitstechniker Wolfgang Kröger von der ETH in Zürich. «Um bei der Leistung mit Kohle- und Gaskraftwerken konkurrieren zu können, müssen die Kosten eines PBMR noch kräftig gedrückt werden.»

PBMR-Chef Kriek räumt ein: «Herkömmliche große Atomkraftwerke sind ökonomischer.» Nach jetzigem Stand seien die Kosten für den Kugelhaufenreaktor klar höher. «Allerdings muss man die geringeren Netzkosten oder den Klimaschutzbeitrag in die Berechnung mit einbeziehen.»

Den Klimaschutzaspekt hält BUND-Energiereferent Thorben Becker grundsätzlich für überbewertet. Selbst bei einem massiven Ausbau der weltweiten Zahl der Atomkraftwerke käme es nur zu einer geringen Klimaentlastung, sagt er. «Die Risiken wären weit höher als der Nutzen.» Das Hauptargument gegen den Kugelhaufenreaktor ist laut PBMR-Chef Kriek, dass noch Erfahrungswerte für Betrieb und Kosten fehlen. «Viele Fragen werden sich klären, wenn der Demonstrationsreaktor 2012 in Betrieb ist.»

Kathrin Schulte-Bunert, dpa-AFX

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