12.08.2016

Die App mit Herz

Die App Cardiio kann die Herzfrequenz bestimmen - mit Hilfe der Videokamera im Smartphone.

Wenn man mit Hilfe der Standardausstattung eines Smartphones – nämlich der Videokamera – etwas macht, wofür es ursprünglich nicht gebaut wurde, erhält man einen Wow-Effekt. Das Erstaunen motiviert dazu, sich mit der dahinterliegenden Physik auseinanderzusetzen. Die App rechnet Farbveränderungen aus dem Video heraus – diese Farbschwankungen lassen sich als Herzfrequenz interpretieren.

Wer nach einem schnellen Messverfahren für die Herzfrequenz auf einem iOS-Produkt sucht und es einfach mag, liegt mit der App Cardiio richtig. Die kostenfreie Version bietet neben zweierlei Messmöglichkeiten auch ergänzende Funktionen, wie das Speichern der Messungen, den Vergleich der eigenen Messergebnisse mit denen von Durchschnittspersonen oder einen Schätzwert für die durchschnittliche Sauerstoffaufnahme. Auch integriert ist ein animiertes siebenminütiges Training der eigenen Fitness. Das Upgrade auf die Pro-Version bietet weitere Möglichkeiten, wie das Maximieren von Trainingseinheiten, wenn dazu eine bestimmte Ziel-Herzschlagspanne benötigt wird. Die Benutzung ist recht einfach, nach einer ersten kurzen Einführung in die Möglichkeiten der App ist sie einsatzbereit.

Cardiio verwendet bei der Messung eine innovative Technologie, die ursprünglich am Massachusetts Institute of Technology entwickelt wurde. Mit der Methode der Eulerschen Videoverstärkung (MEV) können geringste Unterschiede in einer Bildfolge einer Videoaufnahme – für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar – erkannt und verstärkt werden. Zur Messung der Herzfrequenz macht sich die App die Farbänderung der Haut zu Nutze. Bei jedem Herzschlag steigt das Blutvolumen im Gesicht kurzzeitig an. Dieser leichte Anstieg führt zu einer erhöhten Absorption des Lichts im Gesicht und zu einer Verringerung des reflektierten Lichtanteils. Die Absorption ist abhängig von der Wellenlänge: In der beschriebenen Situation werden blaue und gelbe Anteile des Lichts stärker absorbiert. Die dadurch erzeugte Schwankung der Rotfärbung der Haut im Kontrast zur Hautfarbe vor dem Herzschlag wird erkannt. Die Auswertung einer kurzen Videoaufnahme ermöglicht es, die Frequenz der Farbänderungzu bestimmen und damit auf die Herzfrequenz zu schließen.

Abb. Mit der Gesichtserkennung kann über die Videokamera die Herzfrequenz gemessen werden.

Die App ist mit einer einfachen Gesichtserkennungssoftware ausgestattet. Wurde ein Gesicht erkannt, kann mit der Aufzeichnung des Pulses begonnen werden (Abbildung). Hierzu muss die Kamera etwa eine Minute auf das Gesicht ausgerichtet werden. Während dieser Zeit filmt sie dieses ab (ohne ein Video zu speichern) und erkennt die Farbschwankungen.

Darüber hinaus bietet Cardiio eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung der Herzfrequenz. Hierfür wird der Zeigefinger als Messobjekt verwendet. Der Finger soll die hintere Kamera leicht verdecken. Während der Beleuchtung des Fingers mit dem Blitz der Kamera zeichnet das Gerät eine kurze Videosequenz auf. Wird der Finger mit der Blitzlampe stark beleuchtet, dringt das Licht tief in ihn ein. Ein Teil geht durch den Finger hindurch (Transmission), ein Teil wird absorbiert und der Rest gestreut.

In die Kamera fällt helles Streulicht, das aus verschiedenen Tiefen des Fingers kommt. Aufgrund der unterschiedlichen Stärke der Lichtabsorption von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut können auch bei dieser Messung Farbschwankungen im Rhythmus des Pulses ermittelt werden.

Fadime Karaböcek, Jan Winkelmann, Thomas Wilhelm, Uni Frankfurt; Jochen Kuhn, TU Kaiserslautern

Der ausführlichere Originalbeitrag ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen (Download nur frei mit Online-Abo). Er beschreibt zudem ein pfiffiges Experiment, mit dem sich die Genauigkeit der App ermitteln lässt. 

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