01.06.2017

Die dritte Gravitationswelle

Die beiden LIGO-Detektoren haben erneut eine Gravitationswelle gemessen, und wieder kam sie von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern.

Am 4. Januar 2017 um 11:11:58,6 MEZ registrierten beide LIGO-Instrumente eine Gravitationswelle, die den Namen GW170104 erhielt. Die mit Lichtgeschwindigkeit eilende Welle erreichte den Detektor in Hanford, Washington, 3 Millisekunden früher als den 3000 Kilometer entfernt stehenden Detektor in Livingston, Louisiana. Aus diesem Zeitversatz lässt sich grob die Richtung ermitteln, aus der die Welle kam.

Simulation der letzte Phase des Verschmelzens der zwei Schwarzen Löcher mit 31 und 19 Sonnenmassen (S. Ossokine, A. Buonanno (AEI), Simulating eXtreme Spacetimes Project; Wissenschaftliche Visualisierung: T. Dietrich (AEI), R. Haas (NCSA)).

Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover kontrollierte an diesem Tag der Physiker Alexander Nitz routinemäßig die Messdaten des Livingston-Detektors. Als er darin plötzlich ein starkes Signal sah, besorgte er sich umgehend den entsprechenden Datensatz aus Hanford. Als er darin ein ganz ähnliches Signal erkannte, alarmierte er sofort die Kollegen der Kollaboration. Es bedurfte dann weiterer vier Wochen Arbeit, um dem Signal die astrophysikalischen Größen zu entlocken. Hierfür nutzten die Forscher die am AEI unter der Leitung von Bruce Allen und Alessandra Buonanno mit entwickelte Software. Außerdem trugen die beiden Großrechner des AEI, Atlas in Hannover und Vulcan in Potsdam, mit rund die Hälfte der Rechenleistung zur Datenanalyse bei.

Das Ergebnis: Das Gravitationswellensignal von GW170104 ließ sich für rund 920 Millisekunden im Beobachtungsband von LIGO zwischen 20 Hertz und 265 Hertz verfolgen und durchlief dabei 29 Gravitationswellenzyklen (Abb. 1). Die Schwarzen Löcher verschmolzen bei einer Frequenz von rund 172 Hertz. Der zeitliche Verlauf des Signales hängt von der Masse und den Drehimpulsen der einzelnen Objekte ab. So entspricht die Frequenz der Welle der Umlauffrequenz der beiden Körper, und die maximale, beim Verschmelzen erreichte Frequenz ist für schwere Schwarze Löcher niedriger als für leichte.

Die beiden Schwarzen Löcher befanden sich in einer 3 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie und besaßen 31 beziehungsweise 19 Sonnenmassen. Der neu entstandene Körper wies jedoch nur 48 Sonnenmassen auf: Materie von der doppelten Sonnenmasse hatte sich vollständig in die Energie der abgestrahlten Gravitationswelle umgewandelt. Damit war GW170104 zu diesem Zeitpunkt das mit Abstand energiereichste Ereignis im Universum.

Abb. 1 Das Signal von GW170104 in den beiden LIGO-Instrumenten. Die Daten des Livingston-Detektors wurden um drei Millisekunden zurückverschoben. Strain ist die relative Längenänderung im Detektor. Die wahrscheinlichste Wellenform für die Verschmelzung schwarzer Löcher gemäß dem am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam entwickelten Modell ist die schwarze Kurve.

Das jetzige Signal war schwächer als das erste, weil sich das Ereignis in etwa der doppelten Entfernung ereignet hatte. Es war hingegen länger als das erste, weil die beiden Schwarzen Löcher geringere Massen besaßen.

Überraschend ist, dass die bisher gemessenen Gravitationswellen von Schwarzen Löchern ausgehen, die überwiegend zwischen 20 und 40 Sonnenmassen besitzen (Abb. 2). Die in unserer Milchstraße bekannten Schwarzen Löcher sind kleiner und leichter. Offenbar gibt es im Universum eine Klasse von mittelschweren Schwarzen Löchern, deren Existenz bislang kaum jemand vermutet hatte – mit Konsequenzen für die Astrophysik und Kosmologie. Bisher ging man davon aus, dass Schwarze Löcher im Kollaps eines ausgebrannten massereichen Sterns entstehen. Dann sollten sie jedoch nicht mehr als 15 Sonnenmassen besitzen. Es gibt neue Überlegungen, wonach im frühen Universum größere Schwarze Löcher entstanden sein könnten. Es ist jedoch sehr diffizil zu erklären, wie sie solche Doppelsysteme bilden konnten.

Abb. 2 Die Massen bekannter Schwarzer Löcher aus Röntgenbeobachtungen (X-Ray Studies) und aus Gravitationswellenmessungen (LIGO). 

Mittlerweile diskutieren Astrophysiker auch heftig über die Möglichkeit, ob diese Schwarzen Löcher vielleicht die Dunkle Materie bilden könnten, nach der Forscher seit Jahrzehnten suchen. Aufgrund verschiedener Beobachtungen kamen diese Himmelskörper bislang offenbar nicht als Kandidaten in Frage. "Bei genauerem Hinsehen findet man aber, dass der Massenbereich zwischen 20 und 100 Sonnenmassen, wo wir die Schwarzen Löcher finden, nicht durch Beobachtungen zwingend ausgeschlossen werden kann", sagt Karsten Danzmann, Direktor des AEI. "Das ist alles hoch spekulativ und wird sehr kontrovers diskutiert." Danzmanns Gruppe hat in der Vergangenheit bei der technischen Verbesserung der beiden LIGO-Detektoren Pionierarbeit geleistet und unter anderem das weltweit stabilste Lasersystem sowie eine neue Aufhängung für die Interferometerspiegel entwickelt.

Die Forscher erwarten, dass in dem bisherigen Datensatz der beiden LIGO-Detektoren, die seit November letzten Jahres laufen, noch weitere Gravitationswellensignale versteckt sind. Bis August arbeiten die beiden Observatorien weiter, dann werden sie technisch verbessert, um anschließend mit erhöhter Empfindlichkeit wieder anzufahren. Außerdem soll noch bis Ende dieses Jahres eine weitere Anlage namens Virgo in Italien den Betrieb aufnehmen. Mit allen drei Observatorien zusammen wird es auch möglich sein, die Quellen am Himmel genauer zu lokalisieren.

Anlässlich der jüngsten Entdeckung stellt Physik in unserer Zeit bis zum 8.6.2017 drei Beiträge zum Thema Gravitationswellen zum freien Download bereit, die in der aktuellen Ausgabe erschienen sind. In dem Interview „Zu schön um wahr zu sein” erinnert sich Karsten Danzmann an den ersten direkten Nachweis einer Gravitationswelle und gibt einen Ausblick in die Zukunft der Gravitationswellen-Astronomie. Harald Lück vom AEI in Hannover erklärt die Technik von Gravitationswellen-Detektoren und geht ebenfalls auf die historische Erstentdeckung ein. In einem Editorial schildert zudem Gerhard Schäfer, langjähriger Direktor des Theoretisch-Physikalischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Aussichten der Gravitationswellen-Astronomie. 

Thomas Bührke

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