20.10.2017

Die entscheidenden Femtosekunden

Molekulare Konversion auf extrem kurzen Zeit­skalen be­ob­achtet.

Die Beobachtung der entscheidenden ersten Femtosekunden in einer photo­chemischen Reaktion erfordert experi­mentelle Tech­niken, die sich nicht im typischen Arsenal der Femto­sekunden­chemie finden. Solch schnelle Dynamik lässt sich jetzt jedoch mit den Instru­menten der Atto­sekunden­forschung unter­suchen. Forschern am Max-Born-Institut für nicht­lineare Optik und Kurz­zeit­spektro­skopie haben so einen der schnell­sten internen Konver­sions­prozesse in einem Molekül über­haupt studiert.

Abb.: Schematischer Überblick der niedrigsten acht Kompo­nenten­zustände des Benzol-Ions, dar­gestellt als poten­zielle Energie V in eV als Funktion einer dimen­sions­losen effek­tiven Kern­koordinate Qeff. Die violetten Pfeile markieren die Ioni­sation durch den Pump­puls, die orangenen Pfeile die Anregung durch den Abfrage­puls. Die gestrichelte schwarze Linie bezeichnet die not­wendige Energie, um das Fragment C4H3+ zu erhalten. Die strich­punk­tierten grünen Linien sind eine schema­tische Dar­stel­lung der Zeit­evolu­tion eines im E-Zustand erzeugten Ions, das eine Serie von internen Konver­sions­prozessen durch die markierten konischen Über­schnei­dungen erst zum D- und dann zum B-Zustand durch­läuft. (Bild: J. Mikosch, MBI Berlin)

Das Benzolmolekül, dessen Rückgrat aus einem Ring von sechs Kohlen­stoff­atomen besteht, stellte einen per­fekten Kom­promiss zwischen Kom­plexität und chemischer Rele­vanz dar. Des­halb haben Theore­tiker dieses Molekül immer genau unter­sucht. Doch eine Bestäti­gung der theore­tischen Resultate durch ein zeit­auf­ge­löstes Experi­ment war bis­lang nicht möglich. Die vorher­gesagte Dynamik war einfach zu schnell, auf einer Zeit­skala von etwa zehn Femto­sekunden.

Martin Galbraith und seine Kollegen haben jetzt die experi­men­tellen Auf­lösungs­grenzen so weit ver­schoben, dass Messungen der extrem schnellen Dynamik im Benzol­molekül tech­nisch möglich wurden. „Die Ent­wick­lung von Laser­pulsen mit wenigen opti­schen Zyklen und die Erzeu­gung von Atto­sekunden­puls­zügen mit nur wenigen Bursts hat es uns erlaubt ein photo­chemisches Experi­ment mit un­ge­ahnter Zeit­auf­lösung zu ent­wickeln“, sagt Jochen Mikosch, der Leiter der Studie. Die Forscher ver­wendeten einen speziellen spek­tralen Filter in ihren Experi­menten, der es ermög­licht eine defi­nierte Super­position von elek­tro­nischen Zuständen im Benzol­molekül zu erzeugen. Damit konnten extrem kurze Lebens­dauern gemessen werden, die im Rahmen eines Popula­tions­transfers durch zwei konische Über­schnei­dungen hindurch inter­pretiert werden konnten.

Abb.: Experimentell gemessenes C4H3+ Fragment­signal als Funktion der Zeit­ver­zöge­rung zwischen Pump- und Abfrage­puls (rote Punkte). Die schwarze Linie ist ein bi-exponen­tieller Fit an die Daten; die gestri­chelten Linien bezeichnen die Beiträge der beiden Zeit­skalen, die von den Durch­querungen der sequen­tiellen konischen Über­schnei­dungen her­rühren. Die kleine Abbil­dung rechts oben zeigt eine Messung über eine lange Zeit­ver­zöge­rung. (Bild: J. Mikosch, MBI Berlin)

Konische Überschneidungen werden oft als molekulare Trichter beschrieben, in denen sich ver­schie­dene Poten­zial­flächen berühren. Diese Punkte sind von beson­derem Inter­esse, da die normaler­weise sehr ver­schie­denen Zeit­skalen der elek­tro­nischen und nukle­aren Bewegung in einem Molekül dort ver­gleich­bar sind. Konische Über­schnei­dungen spielen eine wichtige Rolle in bio­chemischen Pro­zessen, wie etwa der Stabi­lität von DNS gegen die UV-Strahlung der Sonne und in den ersten Schritten des Sehens bei Tier und Mensch.

Molekulare Dynamik an konischen Überschneidungen spielt eine zentrale Rolle in vielen Schlüssel­feldern der modernen Chemie. Dabei sind oft die ersten Femto­sekunden von ent­schei­dender Bedeu­tung, die bis­lang nicht experi­men­tell zu fassen waren. Daher ist Mikosch zu­ver­sicht­lich, was die weitere Zukunft der neu ent­wickelten experi­men­tellen Technik anbe­langt: „Indem wir einen der schnell­sten internen Konver­sions­prozesse in einem Molekül über­haupt beob­achten konnten, haben wir ein neues Feld geöff­net, das uns Wege zur Kontrolle elek­tro­nischer Dynamik in komplexen Mole­külen ebnen wird.“

FVB / RK

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