Die Jagd nach dem Exzitonenkondensat
Coulomb-Wechselwirkung im Graphen-Sandwich sorgt für Überraschung.
Ein Bose-Einstein-Kondensat ohne Kühlung? Suprafluidität bei Zimmertemperatur? Vielleicht lassen sich diese Wunschträume mit Exzitonen, gebundenen Elektron-Loch-Paaren, verwirklichen. Wie Experimente in den USA zeigen, kann man auf dem Weg dorthin Überraschungen erleben.
Abb.: Die benutzten Sandwichstrukturen bestanden aus zwei Graphendoppellagen (Top Layer, Bot. Layer), die durch eine Bornitridschicht gegeneinander elektrisch isoliert waren. Mit Top- und Bottom-Elektroden (gelb) ließ sich das Vorzeichen und die Größe der Ladungsträgerdichte in den Graphenschichten einstellen, während seitliche Elektroden (braun) Strom-Spannungsmessungen ermöglichten. (Bild: J. I. A. Li et al., PRL)
Regt man in einem Halbleiter oder elektrischen Isolator ein Elektron zum Übergang vom Valenz- in das Leitungsband an, so lässt es ein positiv geladenes Loch zurück, mit dem es einen gebundenen Zustand bilden kann. Es entsteht ein Exziton, das normalerweise nur sehr kurzlebig ist, da Elektron und Loch rekombinieren können. Schafft man es aber, das Elektron und das Loch räumlich zu trennen, so werden die bosonischen Exzitonen langlebig, und sie könnten unter geeigneten Bedingungen auch bei recht hohen Temperaturen ein suprafluides Bose-Einstein-Kondensat bilden.
Mehrere Forschergruppen versuchen, dieses Fernziel mit Hilfe von Sandwichstrukturen aus zwei doppellagigen Graphenschichten zu erreichen, die durch einige Lagen aus hexagonalem Bornitrid getrennt und gegeneinander elektrisch isoliert sind. Befindet sich das Elektron in der einen Doppelschicht und das dazugehörige Loch in der anderen, so werden sie durch die 5 bis 10 nm dicke Bornitridschicht an der Rekombination gehindert, sie sind aber dennoch so nahe beieinander, dass sie eine langlebige Bindung eingehen können.
Bei früheren Experimenten hatte man Sandwichstrukturen aus einlagigen Graphenschichten hergestellt. Während sich die Elektronen in einlagigem Graphen relativistisch bewegen und ihre Energie linear vom Impuls abhängt, zeigt ihre Energie in zweilagigem Graphen eine quadratische Impulsabhängigkeit. Daraus folgt, dass im einlagigen Sandwich die mittlere potentielle Coulomb-Energie der Elektronen ein konstanter Bruchteil ihrer kinetischen Energie ist. Dieser Bruchteil ist indes zu klein, als dass ein Exzitonenkondensat entstehen könnte. Hingegen hängt im zweilagigen Sandwich das Verhältnis von Coulomb-Energie und kinetischer Energie von der Ladungsträgerdichte ab, sodass es in weiten Grenzen verändert werden kann.
Mit solchen Sandwichstrukturen aus zweilagigem Graphen haben Forscher um Cory Dean an der Columbia University und davon unabhängig die Gruppe von Emanuel Tutuc an der University of Texas at Austin aufsehenerregende Experimente durchgeführt. Sie haben das Sandwich zunächst mit zahlreichen Elektroden versehen. Mit zwei Elektroden, die auf oder unter dem Sandwich elektrisch isoliert angebracht waren, konnten sie die Größe und das Vorzeichen Ladungsträgerdichte in der oberen oder unteren Graphendoppelschicht verändern.
Weitere Elektroden waren direkt mit den Graphendoppellagen verbunden, sodass durch die eine Doppellage ein elektrischer Strom fließen konnte, während sich zugleich die Spannung messen ließ, die sich längs der anderen Doppellage aufbaute. Diese Spannung kam dadurch zustande, dass die Elektronen in der stromdurchflossenen Graphendoppellage beispielsweise die Löcher in der anderen Doppellage mitrissen, sodass sich durch diesen Coulomb-Drag wie beim Hall-Effekt solange Ladungen ansammelten, bis durch den Aufbau einer elektrischen Spannung ein Gleichgewichtszustand erreicht war.
Abb.: Der Drag-Widerstand in Abhängigkeit von den Ladungsträgerdichten in der stromdurchflossenen Schicht (Top) und der Drag-Schicht (Bottom) weicht bei T = 120 K deutlich von dem Schachbrettmuster ab, das bei T = 300 K beobachtet wurde. In den vier kleinen Flügeln in der Bildmitte hat der Drag-Widerstand das falsche Vorzeichen.(Bild: J. I. A. Li et al., PRL)
Während Tutuc und seine Kollegen diese Drag-Spannung bei Temperaturen von 1,5 Kelvin maßen, führten Dean und seine Mitarbeiter ihre Messungen zwischen 300 K und 120 K durch. Dabei konnten beide Doppelschichten Elektronen oder Löcher als bewegliche Landungen enthalten. Aus dem fließenden Strom und der gemessenen Drag-Spannung berechneten die Forscher den Drag-Widerstand der Sandwichstruktur. Bei Zimmertemperatur hatte dieser Widerstand das richtige Vorzeichen. Enthielt die stromdurchflossene Schicht Elektronen bzw. Löcher, so wurden in der Drag-Schicht die Löcher bzw. Elektronen mitgerissen, sodass der ermittelte Widerstand negativ war. Für das Mitreißen konnten sowohl exzitonische Bindungskräfte als auch eine direkte Impulsübertragung verantwortlich sein.
Bei tiefen Temperaturen beobachteten beide Forschergruppen etwas Überraschendes. Ganz gleich ob in den Schichten mehrheitlich Elektronen oder Löcher vorhanden waren: der ermittelte Drag-Widerstand hatte stets das falsche Vorzeichen. So rissen zum Beispiel die bewegten Elektronen in der stromdurchflossenen Schicht die Löcher in der Drag-Schicht nicht mit, sondern diese bewegten sich in die entgegengesetzte Richtung. Das ließ sich weder durch direkte Impulsübertragung noch durch Exzitonen erklären. Tutuc und seine Mitarbeiter machen für dieses unerwartete Ergebnis thermoelektrische Effekte verantwortlich.
Anzeichen für eine Exzitonenkondensation haben beide Forschergruppen bisher nicht beobachten können. Doch mit ihren bemerkenswerten Sandwichstrukturen hoffen sie, diesem Ziel näherzukommen und außerdem das Rätsel des negativen Drag-Effekts lösen zu können.
Rainer Scharf
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