20.07.2016

Die Jagd nach dem Exzitonenkondensat

Coulomb-Wechselwirkung im Graphen-Sandwich sorgt für Überraschung.

Ein Bose-Einstein-Kondensat ohne Kühlung? Supra­fluidität bei Zimmer­temperatur? Vielleicht lassen sich diese Wunsch­träume mit Exzitonen, gebundenen Elektron-Loch-Paaren, verwirklichen. Wie Experimente in den USA zeigen, kann man auf dem Weg dorthin Über­raschungen erleben.

Abb.: Die benutzten Sandwichstrukturen bestanden aus zwei Graphendoppellagen (Top Layer, Bot. Layer), die durch eine Bornitridschicht gegeneinander elektrisch isoliert waren. Mit Top- und Bottom-Elektroden (gelb) ließ sich das Vorzeichen und die Größe der Ladungsträgerdichte in den Graphenschichten einstellen, während seitliche Elektroden (braun) Strom-Spannungsmessungen ermöglichten. (Bild: J. I. A. Li et al., PRL)

Regt man in einem Halbleiter oder elek­trischen Isolator ein Elektron zum Übergang vom Valenz- in das Leitungs­band an, so lässt es ein positiv gela­denes Loch zurück, mit dem es einen gebundenen Zustand bilden kann. Es entsteht ein Exziton, das normaler­weise nur sehr kurzlebig ist, da Elektron und Loch rekom­binieren können. Schafft man es aber, das Elektron und das Loch räumlich zu trennen, so werden die boso­nischen Exzitonen langlebig, und sie könnten unter geeigneten Bedingungen auch bei recht hohen Temperaturen ein supra­fluides Bose-Einstein-Kondensat bilden.

Mehrere Forscher­gruppen versuchen, dieses Fernziel mit Hilfe von Sandwich­strukturen aus zwei doppel­lagigen Graphen­schichten zu erreichen, die durch einige Lagen aus hexa­gonalem Bornitrid getrennt und gegen­einander elektrisch isoliert sind. Befindet sich das Elektron in der einen Doppel­schicht und das dazu­gehörige Loch in der anderen, so werden sie durch die 5 bis 10 nm dicke Bornitrid­schicht an der Rekom­bination gehindert, sie sind aber dennoch so nahe beieinander, dass sie eine langlebige Bindung eingehen können.

Bei früheren Experi­menten hatte man Sandwich­strukturen aus einlagigen Graphen­schichten hergestellt. Während sich die Elektronen in einlagigem Graphen rela­tivistisch bewegen und ihre Energie linear vom Impuls abhängt, zeigt ihre Energie in zwei­lagigem Graphen eine quadra­tische Impuls­abhängigkeit. Daraus folgt, dass im einlagigen Sandwich die mittlere potentielle Coulomb-Energie der Elektronen ein konstanter Bruchteil ihrer kine­tischen Energie ist. Dieser Bruchteil ist indes zu klein, als dass ein Exzitonen­kondensat entstehen könnte. Hingegen hängt im zwei­lagigen Sandwich das Verhältnis von Coulomb-Energie und kinetischer Energie von der Ladungs­träger­dichte ab, sodass es in weiten Grenzen verändert werden kann.

Mit solchen Sandwich­strukturen aus zweilagigem Graphen haben Forscher um Cory Dean an der Columbia University und davon unabhängig die Gruppe von Emanuel Tutuc an der University of Texas at Austin aufsehen­erregende Experimente durchgeführt. Sie haben das Sandwich zunächst mit zahlreichen Elektroden versehen. Mit zwei Elektroden, die auf oder unter dem Sandwich elektrisch isoliert angebracht waren, konnten sie die Größe und das Vorzeichen Ladungs­träger­dichte in der oberen oder unteren Graphendoppelschicht verändern.

Weitere Elektroden waren direkt mit den Graphen­doppellagen verbunden, sodass durch die eine Doppellage ein elektrischer Strom fließen konnte, während sich zugleich die Spannung messen ließ, die sich längs der anderen Doppel­lage aufbaute. Diese Spannung kam dadurch zustande, dass die Elektronen in der strom­durch­flossenen Graphen­doppellage beispiels­weise die Löcher in der anderen Doppell­age mitrissen, sodass sich durch diesen Coulomb-Drag wie beim Hall-Effekt solange Ladungen ansammelten, bis durch den Aufbau einer elektrischen Spannung ein Gleich­gewichts­zustand erreicht war.

Abb.: Der Drag-Widerstand in Abhängigkeit von den Ladungsträgerdichten in der stromdurchflossenen Schicht (Top) und der Drag-Schicht (Bottom) weicht bei T = 120 K deutlich von dem Schachbrettmuster ab, das bei T = 300 K beobachtet wurde. In den vier kleinen Flügeln in der Bildmitte hat der Drag-Widerstand das falsche Vorzeichen.(Bild: J. I. A. Li et al., PRL)

Während Tutuc und seine Kollegen diese Drag-Spannung bei Tempera­turen von 1,5 Kelvin maßen, führten Dean und seine Mit­arbeiter ihre Messungen zwischen 300 K und 120 K durch. Dabei konnten beide Doppel­schichten Elektronen oder Löcher als beweg­liche Landungen enthalten. Aus dem fließenden Strom und der gemessenen Drag-Spannung berechneten die Forscher den Drag-Widerstand der Sandwich­struktur. Bei Zimmer­temperatur hatte dieser Widerstand das richtige Vorzeichen. Enthielt die strom­durch­flossene Schicht Elektronen bzw. Löcher, so wurden in der Drag-Schicht die Löcher bzw. Elektronen mitgerissen, sodass der ermittelte Widerstand negativ war. Für das Mitreißen konnten sowohl exzitonische Bindungs­kräfte als auch eine direkte Impuls­übertragung ver­antwortlich sein.

Bei tiefen Tempera­turen beobachteten beide Forscher­gruppen etwas Über­raschendes. Ganz gleich ob in den Schichten mehr­heitlich Elektronen oder Löcher vorhanden waren: der ermittelte Drag-Widerstand hatte stets das falsche Vorzeichen. So rissen zum Beispiel die bewegten Elektronen in der strom­durch­flossenen Schicht die Löcher in der Drag-Schicht nicht mit, sondern diese bewegten sich in die entgegen­gesetzte Richtung. Das ließ sich weder durch direkte Impuls­übertragung noch durch Exzitonen erklären. Tutuc und seine Mitarbeiter machen für dieses unerwartete Ergebnis thermo­elektrische Effekte verantwortlich.

Anzeichen für eine Exzitonen­kondensation haben beide Forscher­gruppen bisher nicht beobachten können. Doch mit ihren bemerkens­werten Sandwichs­trukturen hoffen sie, diesem Ziel näher­zukommen und außerdem das Rätsel des negativen Drag-Effekts lösen zu können.

Rainer Scharf

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