12.07.2012

„Die Kinder sollen Physik mit allen Sinnen erfahren“

Aus dem Klaus-Tschira-Kompetenzzentrum für frühe naturwissenschaftliche Bildung wird ein An-Institut der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Im Jahr 2005 initiierte die Klaus Tschira Stiftung ein Projekt mit dem Ziel, Naturwissenschaften in die Kindergärten zu bringen. Partner von der ersten Stunde an waren Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, die dieses Projekt aufgebaut, durchgeführt und seit 2006 insgesamt knapp 400 Erzieherinnen und Grundschullehrkräfte aus über 130 Einrichtungen aus der Rhein-Neckar-Region fortgebildet haben. Am 10. Juli haben die Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung, Beate Spiegel, und die Rektorin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Anneliese Wellensiek, eine Vereinbarung unterzeichnet, nach der die „Forscherstation“ zu einem An-Institut der PH wird. Direktorin wird die Didaktikprofessorin Manuela Welzel-Breuer, die zuvor bereits die Projektleitung innehatte.

Physik Journal: Was ändert sich nun für Ihre Forscherstation?

Manuela Welzel-Breuer: Vor allem, dass wir als gemeinnützige GmbH selbstständig sind und frei agieren können. Im Rahmen eines Kooperationsvertrags zwischen Klaus Tschira Stiftung und PH arbeiten wir wissenschaftlich zusammen. Als richtige Ausgründung sind wir in der Lage, unser Spektrum an Fortbildungen und Coaching zu erweitern und über die Anbindung an die Hochschule Studenten und Doktoranden wissenschaftlich zu qualifizieren.

PJ: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Station?

MWB: Wir wollen naturwissenschaftliche Bildung in die Kindergärten bringen, also in den Alltag von Kindern und Erzieherinnen. Normalerweise fürchten sich Erwachsene, die keine naturwissenschaftliche Ausbildung haben, vor der Physik. Diese Ängste wollen wir abbauen und die Menschen dafür begeistern, mit den Kindern zusammen physikalische oder generell naturwissenschaftliche Phänomene zu erkunden.

PJ: Dazu müssen die Erzieherinnen aber erst lernen, solche Phänomene selbst zu entdecken…

MWB: Auf jeden Fall, und das geht nicht in einer zweistündigen Fortbildung oder einem Wochenendkurs. Wir begleiten die Erzieherinnen über ein halbes Jahr und treffen uns fünf- bis sechsmal mit ihnen. Zwischendurch können sie all das ausprobieren, was sie sich bei unseren Treffen überlegt und hier entdeckt haben.

Das Team der Forscherstation um Direktorin Manuela Welzel-Breuer (vorne rechts) und Geschäftsführerin Beate Spiegel (vorne links) freut sich über den Schritt in die Selbstständigkeit. (Foto: Klaus Tschira Stiftung)

PJ: Wie sieht eine solche Fortbildung aus?

MWB: Zunächst nehmen wir den Erzieherinnen die Angst, dass sie den Kindern Dinge erklären müssen. Das ist gar nicht erforderlich, denn den Kindern macht es viel mehr Spaß, selbst Erklärungen zu finden. Dann entdecken wir mit ihnen verschiedene Phänomene, stellen Materialien bereit und überlegen gemeinsam, wie man die Kinder daran heranführen kann. Dazu machen wir einen Plan, den die Erzieherinnen in ihrem Alltag umsetzen können.

PJ: Und in der nächsten Veranstaltung?

MWB: Die Erzieherinnen filmen ihre Arbeit im Kindergarten, damit wir gemeinsam schauen können, was gut gelaufen ist und wie die Kinder lernen. Wir diskutieren ihre Erfahrungen und entwickeln neue Ideen. All diese Lernprozesse begleiten und evaluieren wir. Außerdem stellen wir Materialkisten zusammen, vor allem mit Alltagsgegenständen wie Luftballons, Kerzen, Knöpfen zum Stapeln oder einfach Löffeln und Gläsern, damit die Kinder zum Beispiel ausprobieren können, wie verschiedene Töne entstehen, wenn sie die Gläser mit mehr oder weniger Wasser füllen.

PJ: Wie kann man sich eine solche „Physikstunde“ vorstellen?

MWB: Es geht darum, mit den Kindern „richtig“ zu spielen, d.h. mit ihnen die Welt zu entdecken und auf Dinge aufmerksam zu machen, sei es bei einem Spaziergang, am Frühstückstisch oder in der Spielecke. Auch Sprachentwicklung ist wichtig, also die Kinder ihre Beobachtungen in Worte fassen zu lassen und mit ihnen darüber zu reden. Das sind die Grundlagen, damit die Kinder später Physik verstehen können. Die Kinder sollen Physik mit allen Sinnen erfahren, aber nicht im 45-Minuten-Takt wie in der Schule.

PJ: Wie geht es nach der Fortbildung weiter?

MWB: Für Fortgeschrittene bieten wir eine Fortbildung zum Übergang an die Grundschule an. Dabei treffen sich Erzieherinnen und Grundschullehrkräfte aus kooperierenden Einrichtungen, um sich gegenseitig abzustimmen und voneinander zu lernen.

PJ: Finden Sie immer noch genug Erzieherinnen, die sich dieser Herausforderung stellen?

MWB: Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass das Projekt viel Spaß macht und funktioniert, sodass wir Wartelisten für unsere Fortbildungen haben. Werbung muss ich keine mehr machen.

Mit Manuela Welzel-Breuer sprach Maike Pfalz

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