Die Magnetosphäre als Beschleuniger
Instationäre magnetische Rekonnexionen bringen die Teilchen in Schwung.
Elektronen können in der Magnetosphäre der Erde oder in der Chromosphäre der Sonne auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt werden. Dafür macht man magnetische Rekonnexionen verantwortlich, bei denen sich die Struktur des Magnetfeldes lokal ändert, indem sich die Feldlinien auftrennen und neu miteinander verbinden. Jetzt haben Satellitenmessungen ergeben, dass die Rekonnexionen schwankend verlaufen müssen, damit sie die Elektronen in Schwung bringen können.
Abb. 1: Von der Rekonnexion am Sattelpunkt mit der X-Linie gehen Jet-Fronten aus, die die Cluster-Satelliten registrieren. (Quelle: Chen et al., NPG)
Durch ihre Bewegung in einem unveränderlichen Magnetfeld können geladene Teilchen ihre kinetische Energie nicht erhöhen, da die auf sie wirkende Lorentz-Kraft immer senkrecht zur Teilchengeschwindigkeit steht. Ändert sich jedoch das Magnetfeld, so hat dies Auswirkungen auf die Bewegungsenergie der Teilchen, die dabei zu- oder abnehmen kann.
Besonders starke Änderungen des Magnetfeldes werden durch magnetische Rekonnexionen verursacht. Ein dafür typischer Fall in zwei Raumdimensionen tritt bei einem sattelförmigen Magnetfeld auf. Dessen Feldlinien folgen Hyperbeln, die sich an die X-Linie der im Sattelpunkt sich kreuzenden Asymptoten anschmiegen. Bei einer Rekonnexion drängen die Feldlinien z. B. von oben und von unten gegen den Sattel, während sie sich rechts und links von ihm zurückziehen (Abb. 2). Dabei trennen sich die Feldlinien auf und fügen sich neu zusammen.
Solche Rekonnexionen liegen den Sonneneruptionen ebenso zu Grunde wie den magnetischen Stürmen in der irdischen Magnetosphäre. Zudem machen sie den Fusionsforschern das Leben schwer, da sie den gleichmäßigen Ablauf von Fusionsexperimenten stören. Unter bestimmten Umständen kann die Rekonnexion eines Magnetfeldes dazu führen, dass die sich in ihm bewegenden Elektronen ihre kinetische Energie vervielfachen. Das trifft jedoch nicht für weitgehend stationär ablaufende Rekonnexionen zu, wie sie beispielsweise im Sonnenwind auftreten, wo die Elektronen kaum beschleunigt werden.
Was die Elektronen in der irdischen Magnetosphäre und den dort vorkommenden Rekonnexionen auf hohe Geschwindigkeiten bringt, haben Forscher um Mats André vom Schwedischen Institut für Weltraumphysik in Uppsala anhand von Daten untersucht, die der ESA-Satellit Cluster-I gewonnen hat. Am 23. August 2006 registrierten die Messgeräte des Satelliten, der sich in der Magnetosphäre zwischen der Erde und einer Rekonnexion befand, innerhalb von Sekunden einen Anstieg der Magnetfeldstärke auf das Vierfache.
Anschließend registrierten die Teilchendetektoren zwei Pulse oder Jets im Plasma, die in einem Abstand von 25 s mit 750 km/s bzw. 550 km/s den Satelliten passierten und sich auf die Erde zubewegten. In den Fronten dieser Jets traten Elektronen mit stark erhöhter kinetischer Energie auf, die von dem veränderlichen Magnetfeld beschleunigt worden waren, das von der instationär ablaufenden Rekonnexion ausging.
Abb. 2: Bei der Rekonnexion bilden sich ein- (oben/unten) und auslaufende (links/rechts) Feldlinienbündel. (S. Messer)
Für die Beschleunigung der Elektronen machen die Forscher zwei Mechanismen verantwortlich. Zum einen kam es zu einer lokale Betatronbeschleunigung: Da die magnetischen Feldlinien in den Jets komprimiert wurden, liefen die Elektronen immer schneller um die Feldlinien. Zum anderen trat eine Fermi-Beschleunigung auf. Dabei reflektierten die Elektronen an Bereichen mit hoher Feldstärke wie an einem Spiegel, der sich auf die Elektronen zu bewegt. Bei jeder Reflexion erhöhte sich die Bewegungsenergie der Elektronen.
Doch sowohl für die Betatronbeschleunigung als auch für die Fermi-Beschleunigung der Elektronen sind zeitlich stark veränderliche Magnetfelder nötig, wie sie nur von einer nicht stationären Rekonnexion ausgehen können. Damit wird auch verständlich, wieso der Sonnenwind mit seinen nahezu stationären Rekonnexionen die Elektronen kaum beschleunigt.
Die den Beobachtungen zu Grunde liegenden Vorgänge waren weitgehend adiabatisch, d. h. die Elektronen konnten ihre Bewegungen umgehend an die veränderten Umweltbedingungen anpassen. Dabei hing Phasenraumdichte der Elektronen nur von ihrer Energie E ab und folgte in guter Näherung einem einfachen Potenzgesetz: E–γ mit γ = 4,2. Bei sehr schnell veränderlichen Rekonnexionen bleibt den Elektronen jedoch nicht genug Zeit, sich auf die veränderten Umweltbedingungen einzustellen und es treten nichtadiabatische Prozesse auf. Diese Vorgänge soll ein NASA-Satelliten erforschen, der 2014 startet.
Rainer Scharf
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